Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
wird dir guttun, und hoffe, dass ihr beide in diesen Tagen ohne die Kinder – noch dazu in einer so schönen Stadt – genügend Zeit findet, um über viele Dinge zu sprechen. Sei bitte nicht beleidigt, aber ich habe das Gefühl, und zwar nicht zum ersten Mal, dass du in dieser Hinsicht deinem Vater ein wenig ähnelst. Wenn niemand an deiner Seite ist und dich kontrolliert und dir Sicherheit gibt, neigst du ganz schön zur emotionalen Zerstreuung. Eure Partner müssen eher Aufpasser sein als Gefährten, immer auf der Hut davor, dass eine Versuchung euch ihnen wegnimmt. Ich glaube, Daniel hat das noch nicht begriffen, aber du solltest ihn darauf hinweisen.
Vielleicht sind das nicht gerade die Worte, die du dir nach deinem Geständnis von mir erhofft hast. Aber zu meiner Rechtfertigung sage ich dir, dass ich zu dieser Generation gehöre, die zu lange gebraucht hat, bis sie die Welt wirklich verstanden hat, als dass sie jetzt akzeptiert, dass diese Welt in ihr Leben eindringt. Außerdem bin ich deine Mutter, und es gibt Dinge, die wir Mütter einfach nicht verstehen wollen, auch wenn wir es könnten. Trotzdem möchte ich, dass du mir das Ende dieser Geschichte berichtest, die für dich so wichtig ist. Hast du nicht einmal gesagt, was Autoren keinesfalls tun dürfen, wenn sie sich den Respekt ihres Publikums verdienen wollen? Eine Geschichte ohne Ende zu erzählen gehört wohl dazu.
Ich hab dich lieb!
Mama
XXIV
Niemand kennt das Ende dieser Geschichte oder weiß, ob es überhaupt eines gibt. Vielleicht sollten wir es am Morgen des 24. Dezember 1932 suchen, als im Pasaje Domingo mit der Hausnummer 7 die Klingel geht und der elegant gekleidete, frisch rasierte Don Octavio in der Tür steht und nach Señora Teresa fragt. Er wird von Antonia empfangen, für die Besuche des Freundes der Familie inzwischen zum Alltag gehören. Sie bittet ihn in den Salon, nimmt ihm Mantel und Hut ab und bietet ihm etwas zu trinken an, was er ablehnt.
Das Haus ist um diese Zeit sehr ruhig. Doña Maria del Roser ist zum Neun-Uhr-Gottesdienst in die Iglesia de Belén gegangen und beabsichtigt, in Conchas Begleitung anschließend ihre Weihnachtseinkäufe in El Siglo zu erledigen. Amadeo ist am frühen Morgen in das nahegelegene Tiana aufgebrochen, wo er mit einem vermögenden Adligen verabredet ist, der ihn mit einem Wandgemälde für den Speisesaal in seinem Wohnsitz beauftragen möchte.
Selbstverständlich ist Don Octavio über diese Abwesenheit im Bilde.
»Hast du ihm gesagt, dass ich zu Hause bin?«, fragt Teresa Antonia mit bleichem Gesicht.
»Ja, Tessita.«
Teresa verbirgt nicht ihren Unmut über den unvorhergesehenen Besuch. Ihr Puls schlägt so viel schneller, dass sie befürchtet, ihre Kammerfrau könne ihn hören.
»Sag ihm, dass ich unpässlich bin und ihn nicht sehen kann«, sagt sie schließlich.
Während Antonia mit der Nachricht zur Tür geht, setzt sich Teresa vor den Toilettentisch und betrachtet sich im Spiegel. Sie sieht schrecklich aus. Sie ist so dünn, dass ihr Kinn und ihre Wangen hervorstehen. Am Hals treten die Adern hervor, und um die Augen herum liegen tiefe Schatten. Die ersten Wochen ihrer Schwangerschaft – jetzt ist sie im vierten Monat – gingen mit einer Übelkeit einher, die von morgens bis nachts anhält und die sie nichts im Magen behalten lässt. Dazu kommt noch ihre Schwäche durch die vielen Fehlgeburten, bevor Amadeos Samen ihren Leib endlich erfolgreich befruchtet hat, sowie diese innere Beklemmung, die Octavios Anwesenheit – und auch seine Abwesenheit – bei ihr auslöst. Von diesen drei Übeln ist das letzte das neueste und das ärgerlichste.
Antonias Stimme reißt sie aus ihren Gedanken.
»Er sagt, er sei gekommen, um sich zu verabschieden«, verkündet die Kammerfrau noch in der Tür.
»Um sich zu verabschieden?«, fragt Teresa beunruhigt zurück. Sie erinnert sich an ihr Gespräch mit Octavio vor ein paar Tagen am Ende des wöchentlichen Spiritistentreffens. Er hatte ihre Hände ergriffen und ihr gesagt, dass er beabsichtige, weit weg zu ziehen und ein neues Leben zu beginnen. Er hatte noch hinzugefügt, dass er in letzter Zeit das Gefühl habe, weder er selbst noch einige der Menschen, die er am meisten auf der Welt liebe, könnten jemals glücklich sein. Teresa versuchte, seinen Worten, die bei ihr eine tiefe Unruhe auslösten, die Bedeutung zu nehmen. Aber er blieb hartnäckig. »Meine Entscheidung ist gefallen«, sagte er ihr, »es steht nur noch die Frage aus, welches
Weitere Kostenlose Bücher