Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
aus beobachtet. Es wird eines der letzten Male sein, dass die Tochter der Köchin ihren Señor mit der Naivität eines Menschen betrachtet, der die schrecklichen Geheimnisse, die die Welt der Erwachsenen versteckt hält, zwar ahnt, aber noch nichts von ihnen weiß.
Etwas später gelangt der Hausherr am Steuer seines Rolls Royce vom Pasaje Domingo in das Verkehrstreiben auf dem Paseo de Gracia, das an einem so wichtigen Tag wie heute sehr dicht ist, nicht viel anders, als es von nun an mit dem schnellen Fortschreiten der Jahrzehnte immer sein wird – abgesehen von der Form der Fahrzeuge.
Der Nachmittag ist kalt. Antonia beeilt sich, Feuer im Kamin zu machen und im Ofen die Glut warm zu halten. Noch ist es zu früh für die Bettwärmer, nicht aber für den Kräutertee für ihre Señora. Antonia trifft sie auf dem Diwan liegend an, von dem aus Teresa mit einer anscheinend unheilbaren Traurigkeit auf die Straße sieht. Bei ihrem Anblick trocknet Teresa die Tränen auf ihren Wangen und fragt: »Weißt du, wo das Buch geblieben ist, das mir Don Octavio heute Morgen mitgebracht hat? Ich habe es hierhin gelegt, und jetzt finde ich es einfach nicht wieder.«
Antonia fühlt sich unbehaglich. Sie gibt eine ausweichende Antwort und fragt ihre Señora, ob sie einen Tee haben möchte.
»Ich möchte nichts haben, danke.«
Die Kammerfrau bleibt wenige Schritte vor ihr stehen und beobachtet sie, während sie ihren Kopf hin und her wiegt. Die Szene wird nur von dem leisen Atem der beiden Frauen begleitet. Der von Teresa geht etwas schneller, der von Antonia ist ruhig und tief.
»Du musst dich zusammenreißen, Tessita«, redet ihr Antonia mit honigsüßer Stimme gut zu. »Irgendwann wird dein Mann die Geduld verlieren.«
Teresa zuckt mit den Schultern.
»Inzwischen ist mir egal, was er denkt«, erwidert sie.
»Sag doch so etwas nicht. Du bekommst ein Kind von ihm.«
Allein bei diesem Gedanken bricht Teresa wieder unweigerlich in Tränen aus. Sie zieht ein wassergrünes Taschentuch, das perfekt auf die Volants ihres Umstandskleides abgestimmt ist, aus ihrem Ärmel heraus und tupft damit ihre Tränen ab. Ihre Augen glänzen vor Kummer.
»Du hältst mich wohl für dumm, nicht wahr? Für ein kleines Mädchen, das nicht weiß, was es will«, sagt sie.
»Ich würde niemals so etwas von dir denken, Tessita. Ich finde nur, dass du nicht das Glück gehabt hast, das du verdienst. Sonst nichts.«
»Was willst du damit sagen?«
»Mit deinem Ehemann. Er ist zu alt für dich. Und er schenkt dir zu wenig Aufmerksamkeit. Früher oder später lächelt die Gelegenheit einem Mann zu, der eine vernachlässigte Frau umwirbt.«
»Meinst du, Don Octavio ist nur ein Opportunist?«
Antonia verwirft mit einer Geste diese Einschätzung.
»Ich kenne ihn nicht gut genug, um über ihn zu urteilen.«
»Was wirfst du mir vor?«, fragt Teresa mit ihrer hinreißenden Naivität. »Ich hätte ihm nicht zuhören sollen, nicht wahr?«
»Mädchen, was soll ich dir denn vorwerfen? Ich habe kein einziges Mal erlebt, dass du dich nicht anständig verhalten hättest.«
»Aber ich habe es mir gewünscht! Der Wunsch ist bereits die Sünde. Und ein Vertrauensbruch. Nun habe ich mich auch ihm gegenüber fehlverhalten.«
Teresa vergießt bittere Tränen, die Antonia nicht erträgt. Sie beugt sich zu ihr und umarmt sie, wie damals, als Teresa ein kleines Mädchen war und heulte, wenn ihre älteste Schwester nicht wollte, dass sie ihre Hüte anprobierte. Es ist eine merkwürdige Umarmung, ungelenk und knochig. Sie wird von der Abenddämmerung im Fenster eingerahmt, als wäre sie ein Kunstwerk.
»Ich habe seltsame Gefühle, Antonia. Ich verehre meinen Mann. Ich liebe ihn wie sonst nichts auf der Welt, das weißt du genau. Ich habe ihn geliebt, seit ich ein kleines Mädchen bin, und meine Bewunderung für ihn ist immer größer geworden. Aber in letzter Zeit verspüre ich nur noch Mitleid mit ihm.«
»Mitleid?«
»Das klingt für dich sonderbar, nicht wahr? Ich weiß selbst, dass man das kaum glauben kann. Jeder, der ihn kennt, sieht in ihm den starken, selbstsicheren Mann, den Künstler mit internationalem Erfolg. Aber ich weiß, dass sehr viel mehr dahintersteckt: Schwächen, Widersprüche, Ängste, Schmerzen. Und auch andere Frauen, von denen ich lieber nichts erfahren hätte.«
Antonia genießt diese Vertraulichkeiten. Sie hat immer gern ihre Nase in die Geheimnisse anderer Leuten gesteckt.
»Aber das ist doch normal …«, flüstert sie.
»Natürlich.
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