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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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ich will meine Mail nicht abschicken, ohne dir zu erklären, was ich weiter oben nur angedeutet habe: Man hat mir angeboten, in Barcelona zu bleiben und das zukünftige Museo Amadeo Lax zu leiten. Das ist ein Traum, den ich lange gehegt habe, aber jetzt, wo er wahr wird, weiß ich nicht, was ich tun soll. Einerseits habe ich Lust auf einen Tapetenwechsel und darauf, in diese Stadt mit dem angenehmen Klima zu ziehen. Ich könnte mich ein wenig aus dem Stress und der Hektik und den Verpflichtungen in Chicago herausziehen und mich auf den Stress und die Hektik und die Verpflichtungen in Barcelona einlassen. Mir gefällt der Plan, und ich muss ihn mit Daniel besprechen, aber da ist etwas, was meine Hoffnung trübt. Vielleicht hältst du mich ja jetzt für eine Idiotin, wenn ich es dir gestehe, oder vielleicht hast du es dir auch schon längst gedacht.
Seit ich meinen Kopf einsetzen kann, habe ich Großvater bewundert, und zwar nicht nur wegen seines Könnens als Maler, sondern auch als Mensch. Sein Mut, seine Opferbereitschaft und seine emotionale Stärke haben mich bewegt. Wie du weißt, habe ich zig Vorträge gehalten, in denen ich ihn dafür gerühmt habe, Teresa auch noch zu malen, nachdem sie ihn verlassen hat. Ich dachte, darin unmissverständliche und obsessive Anzeichen eines liebenden Mannes zu erkennen, der lebenslänglich auf die wundersame Rückkehr seiner Frau gehofft hat. Ich war fest davon überzeugt, dass Großvater noch in seiner Todesstunde auf sie gewartet hat und dass die Gemälde für ihn die einzige Möglichkeit waren, die Erinnerung an sie zu bewahren.
Von solchen romantischen Vorstellungen ist nun nichts mehr übrig. Großvater ist nicht dieser starke Mann gewesen, den ich immer bewundert habe, sondern ein Wesen ohne Moral, das zu der widerlichsten und niederträchtigsten Tat überhaupt fähig gewesen ist. Ein Mann, der einen Totschlag oder einen Mord begangen hat und der keine Gewissensbisse hatte, danach einfach weiterzumachen, mit einer anderen Frau zusammenzuleben, sein Leben weiterzuleben und Werke zu malen, wie er sie nie zuvor geschaffen hat. Die wunderbaren Bilder aus Nesso sind der Beweis dafür, wie gut er sich davon erholen konnte, wie er in seinem Werk neue Wege einschlagen und dieses mit Effizienz und Originalität weiterentwickeln konnte. Ich stelle mir Großvater vor, wie er sich in seinem Atelier an diesem See in Italien auf seine Arbeit konzentriert hat, und allein diese Vorstellung widert mich an. Wie war ihm das nur möglich? Wie konnte er noch einmal neu anfangen?
Mama, ich weiß wirklich nicht, ob ich ein Museum leiten möchte, das so einem Menschen gewidmet ist. Ich weiß nicht einmal, ob man die Erinnerung an diesen Mann bewahren soll. Ja, ich weiß schon: Wir haben alle unsere dunklen Seiten, das hat ja auch Fiorella gesagt. Ein glänzender Künstler muss noch lange kein vorbildlicher Mensch sein. Man könnte sogar noch weitergehen: Wenn es um kreative Werke geht, darf man nicht zulassen, dass Gefühle die objektive Betrachtung dieser Werke beeinflussen. Ich habe solche Meinungen oft genug geäußert, aber niemals Großvater damit gemeint. Mir geht das alles im Kopf herum, aber ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll. Es ist verlockend, hier in Barcelona zu bleiben, aber bei ihm, bei der Erinnerung an diesen bedauernswerten Menschen namens Amadeo Lax, ist es beileibe nicht.
Es wird mir noch eine Zeitlang im Kopf herumspuken, und ich verspreche, dass es früher oder später irgendein Ergebnis geben wird.

Einen dicken Kuss für dich,

Vio

P. S.: Daniel packt gerade seine Koffer. Er sagt, er will hier mit mir meinen Geburtstag feiern. Sein Roman ist fertig, und er ist überglücklich darüber. Das heißt, mir läuft die Zeit davon. Wenn ich mit meiner Vergangenheit Frieden schließen will, dann unbedingt, bevor meine Gegenwart schlagartig in mein Leben einbricht.
Von: Valérie Rahal
Gesendet am: 12. April 2010
An: Violeta Lax
Betreff: Ich bin noch da!

Nein, meine liebe Tochter, keine Angst. Ich habe bei deiner Mail keinen Infarkt bekommen, aber ich muss zugeben, dass sie mich ziemlich überrascht hat. Mir kommen viele Fragen, die ich dir auch stellen würde, wenn du nicht meine Tochter wärest, aber in dem Fall ziehe ich es vor zu schweigen. Ich gebe mich mit der Vorstellung zufrieden, dass das alles zu einer anderen Phase deines Lebens gehörte, und dem Himmel sei Dank, dass dein Ehemann endlich reagiert hat und zu dir fliegen wird. Ich denke, seine Gesellschaft

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