Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
geredet?«
»Ich weiß es nicht, Señor. Sie haben die ganze Zeit gesprochen, aber immer sehr leise. Sobald ich nähergekommen bin, haben sie aufgehört.«
Amadeo führt die Tasse an die Lippen und nimmt vorsichtig einen Schluck. Seine Bewegungen sind bedächtig, aber seine Gedanken gehen rasend schnell.
»Hat er ihr wieder Geschenke mitgebracht?«
»Nur eines, Señor. Aber etwas anderes als sonst.«
Antonia greift siegessicher in die vordere Tasche ihrer Schürze und zieht aus der Tiefe das gebundene Buch mit dem braunen Ledereinband heraus, als würde sie es vor dem Jenseits bewahren.
»Ich habe es aus dem Zimmer der Señora genommen, als sie zum Essen hinuntergegangen ist. Vermutlich sucht sie es nun, denn zuvor hat sie sich keine Sekunde davon getrennt«, berichtet sie triumphierend.
Amadeo kennt – dank Antonia – alle Geschenke, die in den letzten Monaten in dieses Haus gelangt sind und die seine Frau, eins nach dem anderen, zurückgewiesen hat. Einmal kam ein Wagen voller gelber Rosen – Teresas Lieblingsblumen –, ein anderes Mal waren es Süßigkeiten oder Blumensträuße, und einmal sogar ein Käfig mit einem Perserkätzchen. Alles kehrte zu seinem Absender zurück, nachdem Teresa mit rätselhafter Miene das beiliegende Kärtchen gelesen hatte.
Kaum hatte dieses Hin und Her begonnen, da bot Antonia auch schon von sich aus ihre Dienste an.
»Vielleicht wüsste der Señor gerne, was in diesem Haus während seiner Abwesenheit vor sich geht«, verkündete sie. »Nach allem, was meine Augen bislang gesehen haben, sind es ernstzunehmende Dinge.«
Amadeo wollte von ihr wissen, was sie für ihre Treulosigkeit haben wolle. Die habgierige Alte war nur auf Geld aus. Sie verriet ihre Señora, die sie als Kinderfrau großgezogen hatte, gegen eine Handvoll Geldscheine, wie ein pockengesichtiger Judas im eigenen Hause. Amadeo empfand Ekel vor ihr, aber er sah darüber hinweg, weil ihm Antonias Dienste sehr zupasskamen. Schließlich und endlich verschaffte ihm dieses Angebot eine tiefe Befriedigung: Teresas Treuebruch gegen ihn brachte zur Strafe Antonias Treuebruch gegen Teresa mit sich.
Doch das heutige Geschenk hat nichts mit den Blumen, den Süßigkeiten und dem Kätzchen gemeinsam. Amadeo betrachtet das Buch. Es ist ein französischer Roman, der ihm recht simpel vorkommt – zweifellos Lektüre für leichtgläubige Frauen –, und im Vorlegeblatt entdeckt er das Exlibris seines Jugendfreundes, das genau die Symbole enthält, die er vor ein paar Jahren in dessen Porträt gemalt hat. Nun verflucht Amadeo diese Symbole und den Mann, dem sie gelten. Wenn er könnte, würde er sie durch andere ersetzen, die eher der Wahrheit entsprächen. Zum Beispiel durch die Schlange, dieses leibhaftige Abbild der Treulosigkeit, die sein alter Freund an den Tag legt. Sobald er dann die Seiten in dem Buch umblättert, fallen Amadeo die unterstrichenen Passagen ins Auge. Er hat die Eingebung – schließlich ist er selbst ein erfahrener Mann, zudem kennt er den Absender sehr gut –, dass sie eine Geheimbotschaft enthalten könnten, und beschließt, die Sache genauer zu untersuchen.
Amadeo befiehlt Antonia zu gehen. Sie beugt ein Knie wie zu einem Knicks, doch es sieht eher wie eine Gebrechlichkeit in den Beinen aus. Wieder allein im Kabinett, vertieft sich Amadeo in die Botschaft. Er entdeckt die Punkte unter den Buchstaben, die markierten Ziffern bei den Seitenzahlen, er greift zu Papier und Feder, notiert Buchstaben und Ziffern und setzt sie zusammen. Er dechiffriert die Nachricht. Er wird vom Teufel geritten.
Als die Botschaft vollständig entschlüsselt vor seinen Augen steht, schlägt er mit der Faust auf den Tisch. Von einer plötzlichen Eile gedrängt, steht er auf und geht zu dem Bücherschrank, der neben dem Porträt seiner Mutter steht. Er schiebt die drei Bände einer alten bebilderten Bibel zur Seite und führt seinen Arm in das sich ergebende Loch. Er nimmt eine Pistole heraus, eine 59 mm Little Tom für sechs Patronen, und klemmt sie fest zwischen den Bund seiner Hose und die Hosenträger. Er vergisst nicht das Buch. Entschlossen geht er die Treppe hinunter. Antonia hilft ihm in den Mantel und reicht ihm den Hut, während sie ihn darüber informiert, dass die Señora Maria del Roser und Conchita immer noch nicht von ihren Weihnachtseinkäufen zurückgekehrt sind. Als er in den Rolls Royce steigt und den Motor anlässt, entdeckt er Laias düsteren und durchdringenden Blick, die ihn von der Küche
Weitere Kostenlose Bücher