Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Ich weiß, dass Männer in seiner Position Geliebte haben«, antwortet Teresa etwas missmutig, »aber denkst du, Männer in seiner Position weinen wie Kleinkinder über ihrer Ehefrau, nachdem sie sie genommen haben? Meinst du, solche Männer rufen unter Schluchzen immer nur noch ›Verlass mich nie, verlass mich nie‹? Um dann eine Sekunde später ihre Tränen abzuwischen und für drei, fünf oder sieben Tage ohne jede weitere Erklärung zu verschwinden? Am Anfang habe ich noch Angst bekommen. Ich habe gedacht, ich könnte ihn heilen, ihn erlösen. Ich habe gehofft, meine Liebe könne ihn kurieren. Aber inzwischen habe ich aufgegeben.«
Von unten dringt das gedämpfte Motorengeräusch des Citroën hoch. Doña Maria del Roser kehrt erschöpft von ihren Einkäufen heim. Julián – den die ältere Dame hartnäckig mit Felipe anspricht – hilft ihr und Concha beim Aussteigen. Concha bietet der Matriarchin ihren Arm an, damit sie sich auf der Treppe einhaken kann. Doña Maria del Roser geht direkt in ihre Gemächer. Ihr ist übel – die Gesellschafterin spricht von Kroketten, die die Señora nicht vertragen habe –, und sie benötigt Ruhe. Antonia hilft ihr beim Zubettgehen und richtet ihr in dem kleinen Salon Tee mit Gebäck. Doña Maria del Roser lässt das Tablett unangetastet und gleitet in einen sanften Halbschlaf, aus dem sie wenig später erwachen wird, um die Szenen aus dem vorletzten Akt dieser Geschichte zu vollenden, die wir bereits erwähnt haben: die Schlüsselsuche, die Erinnerung an Violeta, der Suchtrupp des Personals und Teresa, die sich über ihren Kummer hinwegsetzt, um ihrer Schwiegermutter in den Augenblicken beizustehen, die ihre letzten auf dieser Welt sein werden, auch wenn sie das noch nicht wissen kann.
Von all dem ist noch der Zwischenakt wichtig, in dem Teresa auf Maria del Rosers Bitte allein in deren Zimmer bleibt und von dem hellsichtigen Blick ihrer Schwiegermutter überwältigt ist, der sie so sehr an ihre erste Begegnung erinnert. Sie setzt sich auf die Bettkante, führt die Anweisungen aus und vernimmt aus dem Mund der Matriarchin Worte, die ihr fast den Verstand vernebeln.
»Schau in den Ausschnitt meines Nachthemdes«, bittet ihre Schwiegermutter. »Du findest da eine Goldkette mit einem Ring. Nimm sie. Sie gehört nun dir. Ich will, dass du sie niemals ablegst. Ich habe sie nach dem Tod eines guten Freundes erhalten, dem ich selbst die Kette mit dem Ring geschenkt habe. Darin ist sein Name eingraviert, und dann verstehst du, von wem ich gerade rede. Dieses Wesen wird, wo auch immer es sein mag, über dich wachen, wenn ich es nicht mehr tun kann.«
Teresa hält ihre Tränen zurück. Das Zimmer liegt im Dunkeln. Maria del Roser wirkt gelassen, auch wenn ihre fragilen Hände beben wie schlafende Täubchen.
»Sie werden nicht sterben. Sie haben nur eine Magenverstimmung«, widerspricht Teresa erschrocken.
Aber die Schwiegermutter hört nicht auf sie.
»Leg die Kette an«, fordert sie Teresa hartnäckig auf. »Ich will sehen, wie sie dir steht.«
Trotz ihrer Vorbehalte tut Teresa, worum ihre Schwiegermutter sie bittet.
»Versprich mir, dass du sie nie ablegst.«
»Ich verspreche es.«
Bei diesen Worten atmet Maria del Roser tief durch und schließt die Augen. Ihre Hände sind eiskalt. Teresa umfasst sie mit ihren eigenen Händen. Ihre Schwiegermutter atmet ruhig. Als Teresa denkt, dass sie schläft, kommt von ihren Lippen ein gedämpftes Flüstern.
»Sie sind da. Sie holen mich.«
Teresa begreift, dass sie wieder deliriert.
»Niemand fehlt«, stellt die ältere Dame lächelnd fest.
Sie scheint überhaupt nicht zu leiden. Ihre Träume sind wohl angenehm.
»Wie schön, dass du da bist, Violeta«, flüstert sie auf einmal. »Ich habe dich so vermisst.«
In ihre Ruhe dringt eine sonderbare, ebenso heitere wie unerklärliche Aufregung. Von ihren Lippen kommt ein langer Redeschwall voller unverständlicher Worte. Anscheinend Antworten in einer nicht existenten Unterhaltung, in der Maria del Roser ihren unsichtbaren Gesprächspartner über alles in Kenntnis setzt, was in den letzten Jahrzehnten passiert ist.
»Mäuslein, mein großer Schatz …«, sind ihre letzten, deutlich vernehmbaren Worte, ehe sie einschläft.
Teresa wacht noch eine Weile über Maria del Rosers langsamen Atemzügen. Dann steht sie langsam auf, geht hinaus und trägt dem Personal auf, die ganze Nacht auf sie aufzupassen. Die Hausangestellten wechseln sich ab, um Teresas Anweisung auszuführen.
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