Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
mitbekommen hat. Oder vielleicht hat er sich auch zuvor selbst umgebracht. Denn dafür habe ich ihm schließlich meine Pistole dagelassen. Aber da bin ich mir nicht so sicher. Ich weiß nur mit Sicherheit, dass er das Schiff nicht genommen hat.«
»Woher willst du das wissen? Hast du es etwa überprüft?«
»Richtig«, grinst Amadeo zufrieden. »ich habe einen Boten unter dem Vorwand beauftragt, er solle Octavio bei seiner Ankunft in New York mit seinem Gepäck helfen. Der arme Mann schickte mir recht erstaunt ein Telegramm, in dem er schrieb, dass mit der Magallanes kein Señor Conde angekommen sei und dass seine Kabine während der ganzen Überfahrt unbenutzt geblieben sei. Man hat ihm wohl gesagt, dass so etwas in der Ersten Klasse öfter vorkommt, weil die reichen Leute so vielbeschäftigt sind. Was meinst du? Ist das nicht ein Ding?«
Teresa kann nicht antworten. Sie versucht nur – vergeblich –, ihre Gedanken zu ordnen. Sie sucht einen Ausweg aus dieser Situation. Doch Amadeo hetzt sie weiter, er kostet seine Rache voll aus.
»Und, was hast du jetzt vor? Willst du etwa immer noch nach New York fahren?«
Teresa weiß nicht, woher sie die Kraft nimmt, als sie trotz allem mit fester Stimme antwortet: »Nicht nach New York. Aber ich will gehen.«
Als hätte dieser Satz einen Hebel umgelegt, fängt Amadeo an zu toben. In Teresa steigt Panik hoch. Amadeo steht auf und versetzt dem Kätzchen einen so brutalen Fußtritt, dass es gegen den Kaminaufsatz kracht und leblos hinunterfällt. Teresa schreit vor Entsetzen auf. Sie erhebt sich und will auf ihr Zimmer fliehen, aber Amadeo packt sie am Haar und zerrt sie zu sich. Sein Blick ist der eines Wahnsinnigen. Schweiß perlt ihm in riesigen Tropfen über die Stirn. Er ergreift sie an den Schultern und schüttelt sie. Er schnaubt böse Worte, infame Beleidigungen, die ihm nie zuvor über die Lippen gekommen sind. Je lauter er brüllt, umso wilder wird seine Wut. Je mehr er aus der Haut fährt, umso größere Lust hat er, sich zu vergessen. Bis seine Hände ihren bleichen Hals umschließen. Und zudrücken.
Als es zu spät ist, bereut Amadeo. Er hört einen pfeifenden Ton in seinen Ohren. Er nimmt seine Hände von Teresas lila angelaufenem Hals. Der Körper seiner Frau sackt wie eine kaputte Puppe auf den Fußboden. Amadeo kniet neben sie. Er ruft ihren Namen, mehrere Male, zum letzten Mal, unter Schluchzen. Er kauert über ihr, mit seinem Kopf zwischen ihren Brüsten, und heult wie ein Kind. Er verharrt so eine lange Weile, bis Teresas Körper erkaltet ist. Dann erfasst er scharfsinnig, dass er etwas unternehmen muss.
Er trocknet die Tränen und steht auf. Er betrachtet die Szene, als hätte er nichts damit zu tun.
In dem Moment entdeckt er Laia, die ihn von der Tür aus entsetzt beobachtet. Auch sie weint.
Am Nachmittag des 18. Juli 1936 herrscht hinter den Mauern hektisches Treiben. Als die Maurer kommen, um ihre Werkzeuge abzuholen, stellen sie eine kleine Veränderung an dem soeben vollendeten neuen Raum fest. Die Tür zu der Kammer, die sie mit so viel Sorgfalt lackiert hatten, ist abgeschlossen, und in der Metallplatte fehlt die Klinke. Zudem überrascht sie der Hausherr mit einem eiligen Auftrag, für den er ihnen das Doppelte der üblichen Bezahlung anbietet. Sie legen sofort Hand ans Werk, ohne weitere Fragen zu stellen. Sie bedecken die große Längswand im ehemaligen Patio und auch – was für ein seltsamer Auftrag – die Tür mit einer dicken Putzschicht. Als sie fertig sind, käme niemand auf die Idee, hinter der Wand einen Hohlraum zu vermuten. Von seinem Inhalt wissen sie selbstverständlich nichts.
Während die Handwerker arbeiten, geht Amadeo geistesabwesend auf und ab. Sein Anblick wirkt beängstigend. Er ist völlig außer sich, seine Nerven liegen blank. Er geht durchs ganze Haus und sucht Gegenstände zusammen, die er ohne viel Gefühl in eine Truhe wirft, die einmal seiner Mutter gehört hat. Er nimmt Dokumente, Schmuckstücke und Münzgeld an sich.
Gegen sieben Uhr abends verlässt er das Haus. Er ruft lieber ein Taxi, bevor er einen seiner auffälligen Wagen nimmt. Eine halbe Stunde später ist er zurück, zeigt Laia mehrere der frisch beschafften Papiere und verkündet: »Spanische Pässe mit deutschen Visa. Morgen früh nehmen wir ein Frachtschiff. Du kommst mit mir. Ich habe ihnen gesagt, dass du meine Tochter bist.«
»Wohin gehen wir?«
»Nach Italien. Du kannst die Uniform nicht anbehalten. Geh zu Teresas Ankleide und
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