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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Teresa legt den Karton auf ihre Knie, löst die Schleife und hebt den Deckel ab. Ein winziges, haariges Köpfchen schaut heraus und blickt sie aus zwei leuchtenden, mandelförmigen Augen an. Es ist ein kleines Perserkätzchen mit langem weißen Fell. Es trägt ein Halsband mit einer Plakette, auf der steht: Dickens.
    Teresa betrachtet das Namensschildchen und fragt: »Dickens?«
    »Der Autor hat dir doch immer gefallen, oder? Das wird ein recht viktorianisches Tier sein. Ich habe gedacht, es gefällt dir, wenn es schon einen Namen hat.«
    Teresa hebt das Tier aus dem Karton und streichelt es auf ihrem Schoß. Das Kätzchen verengt die Augen zu Schlitzen und gibt ein zufriedenes Schnurren von sich.
    »Modesto wird begeistert sein«, flüstert sie im Gedanken an ihren kleinen Sohn, dessen Interesse für das Tierreich in diesem Jahr plötzlich erwacht ist.
    Amadeo betrachtet sie wortlos, den Kopf von der einen zur anderen Seite wiegend. Teresa fürchtet diesen Blick, sie weiß, was er bedeutet. Amadeo verachtet sie nicht mehr, inzwischen braucht er sie verzweifelt. Dieser Blick ist der Vorbote eines seiner Anfälle. Früher haben diese ihr Angst eingeflößt, nun erträgt sie sie einfach nicht mehr.
    »Ich möchte, dass es wieder so ist wie früher. Du bist immer so zufrieden gewesen. Du hast mich angesehen wie sonst niemand.« Amadeo streckt einen Arm aus und vollzieht mit einem Finger eine kindliche, spielerische Berührung.
    Aber sie weist seine Hand brüsk zurück.
    »Amadeo, nichts kann mehr so sein wie früher.«
    Sie hat es ausgesprochen, sie hat den Mut aufgebracht. In ihrem Herzen ist nur eine große Leere, und ihre Schläfen pochen unter einem nervösen Schmerz. Sie spürt, dass sie mit diesen Worten eine Schwelle überschritten hat. Er betrachtet sie, ohne zu begreifen, was er sieht oder hört. Das Kätzchen springt mit einem Satz vom Schoß seiner Herrin, tappt schwerfällig über die Fliesen und springt plötzlich auf einen anderen Sessel, als wolle es dem Schauspiel beiwohnen, das gleich beginnen wird. Teresa bekommt kaum Luft. Ihr Mund ist trocken. Sie nimmt allen Mut zusammen, den sie nie zuvor besessen hat, und sagt: »Ich will, dass wir uns scheiden lassen.«
    Nun hat Amadeo das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein. In der Welt der Verachtung und der Ablehnung. In der Welt von Verrat und Betrug. Er schüttelt vehement den Kopf. Er weiß, was er will. Was Teresa soeben ausgesprochen hat, wird schlichtweg niemals eintreten. Diesen Vorschlag muss er nicht einmal abwägen. Nein. Teresa wird ihn nicht verlassen. Es gehört nicht zu seinen Plänen, so etwas zu gestatten. Noch nie hat er etwas mit dieser Gewissheit gespürt: Sie wird ihren Willen nicht bekommen. Und wenn er ihr dafür den Umgang mit allen Menschen verbieten muss, die Schlange von Schwägerin inbegriffen.
    Er sagt nur resolut: »Nie im Leben.«
    Teresa zittert. Ihre Hände sind eiskalt. Plötzlich ist sie von Angst ergriffen.
    »Ich kann nicht weiter an deiner Seite leben, Amadeo. Ich liebe dich nicht mehr so wie früher. Ich habe das Gefühl, dass unsere Ehe eine Farce ist. Ein Haus mit einer hübschen Fassade, das verfaulte Balken hat und kurz vor dem Einsturz steht. So etwas hast du nicht verdient.«
    »Du bist eine Närrin«, schreit er sie plötzlich an, dass sie zusammenzuckt, »und noch dazu so etwas von naiv. Du denkst immer noch an Octavio, oder? Denkst du denn, ich merke das nicht?«
    Teresa hat keine Angst vor der Wahrheit. Ganz im Gegenteil, sie hat sie immer verteidigt. Die Wahrheit ist immer besser als die Lüge, so schmerzhaft sie auch sein mag. Aber diese goldene Regel gilt nicht für Amadeo. Er ist sehr verletzlich, das ist ihr durchaus bewusst, er ist ein Mensch, für den die Wahrheit eine tödliche Wunde sein kann.
    »Das ist jetzt nicht wichtig, Amadeo.«
    »Aber natürlich ist das wichtig! Meinst du vielleicht, er hockt am anderen Atlantikufer und wartet auf dich? Bildest du dir etwa ein, ihr könnt einfach so ein neues Leben anfangen, in einer Stadt, in der euch niemand kennt?
    Du Närrin, hast du dich denn niemals gefragt, warum Octavio dir nicht geschrieben hat? Er hat dir doch nicht einmal seine neue Adresse geschickt, oder? Dir ist doch nichts anderes eingefallen, als nach ihm zu schmachten, du hirnrissiges dummes Ding!«
    Teresa wird schwindelig. Sie weiß, dass Amadeo zu allem fähig ist, wenn der Hass ihn antreibt. Plötzlich verspürt sie unsägliches Mitleid mit ihm. Amadeos Gesicht ist puterrot, am Hals und an

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