Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
schwülen und heißen Nacht in Barcelona auf dem Diwan am Fenster sitzt, beschließt sie, dass der Moment am nächsten Morgen nach dem Frühstück gekommen ist.
Der Tag beginnt sonnig und heiß, die Atmosphäre ist explosiv. Auf den Straßen herrscht seit dem frühen Morgen reichlich Aufruhr, von überallher dringen gedämpfte Schreie. Im Morgengrauen hat Teresa drei junge Männer beobachtet, die den Nachtwächter überfallen und ihm seine Waffen abgenommen haben, und sie befürchtet, dass die drei sofort in ihr Haus stürmen. So wie die Stimmung aussieht, rechnet sie mit allem.
Amadeo ist auch beunruhigt und mangels Zeitungen nicht informiert – die Zeitungen wurden heute nicht gedruckt. Er versucht, eine Lage unter Kontrolle zu halten, die niemand kontrollieren kann. Am Vormittag haben mehrere Männer gegen die Haustür gepoltert, und er musste sie, unter Laias entsetztem Blick, mit einer Pistole verjagen. Amadeo kommt sich wie der Feudalherr einer Burg inmitten des Aufstandes der Bauern vor. Aber er weiß, dass er allein nicht lange Widerstand leisten kann. Schließlich gelingt es ihm gegen Mittag, das Haus zu verlassen. Bei seiner Rückkehr – er hat sich mit seinem gutunterrichteten Freund Josep Maria Albert Despujol unterhalten – sind seine Gedanken klarer und sein Gemüt gelassener. Wenn sich die Lage in den nächsten ein oder zwei Wochen nicht bessert, wie alle hoffen, wird es wohl das Beste sein, nach Italien zu fliehen. »Hier leben wir mit einem hohen Risiko, Lax«, hatte Albert Despujol ihn gewarnt. »Wenn wir bleiben, kennen diese barbarischen Kommunisten kein Pardon mit uns.«
An dem Morgen hat Laia den Herrschaften das Frühstück getrennt serviert. Teresas Tablett hat sie nicht, wie so oft zuvor, mit einer gelben Rose dekorieren können. Der Rosenstrauch wurde wie die übrigen Pflanzen im Patio entfernt. Nun befindet sich dort ein dunkler Holzfußboden, der Patio ist mit einer Glaskuppel überwölbt und die Wände sind verputzt. Von den Handwerkern zeugen in dem neuen Raum nur noch die Werkzeuge. Sie haben versprochen, sie am Nachmittag abzuholen. Danach wird Laia ganz allein alles putzen müssen.
Teresa geht gemächlich die Treppe hinunter. Sie trägt nur eine lachsfarbene Satinkombination aus Nachthemd und Morgenmantel, und ihre Füße stecken in zierlichen Pantoffeln mit Seidentroddeln. Die Kammerfrau beobachtet sie so verzückt wie damals, als sie ein kleines Mädchen war.
»Ruf bitte deinen Vater an und sag ihm, dass er mich heute Nachmittag um fünf Uhr abholen soll!«, weist Teresa sie an, bevor sie in den Salon geht.
Laia vertagt die Ausführung der Anordnung auf später. Aber dann wird es nicht mehr notwendig sein.
Von den Sesseln neben dem Kamin betrachtet Teresa verzweifelt den ehemaligen Patio. Die Tür mit den bunten Glasfenstern ist noch an ihrem Platz, doch dahinter eröffnet sich Neuland, das nichts mehr mit diesem sonnigen Ruhepol voller Grün gemein hat, den sie so geliebt hat. Die Wände sind nun nackt und roh, sie warten auf die Anstreicher. Nicht einmal der gekachelte Trittstein vermag es, den Raum weniger düster wirken zu lassen. Irgendwo aus der Ferne dringen Geräusche von Explosionen herüber. Teresa fragt sich, ob sie nicht längst gehen sollte. Doch in dem Moment hört sie hinter ihrem Rücken Amadeos Stimme.
»Guten Tag, meine Liebe«, sagt er. »Gefällt dir die Veränderung?«
Teresa steht auf, stellt sich zu ihm und betrachtet an seiner Seite den Umbau. Amadeo ist makellos mit seinem karierten Anzug bekleidet, in der Hand trägt er seinen Strohhut sowie einen Pappkarton mit einer Schleife. Sie nickt schüchtern.
»Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht«, verkündet er.
Die freundliche Geste entwaffnet Teresa. Ihr Herz rast bei dem Gefühl, dass die Stunde der Wahrheit näherrückt.
»Warum?«, fragt sie.
»Braucht es dafür einen Grund? Du hast mich doch auch nicht danach gefragt, als ich dir während unserer Hochzeitsreise all die Geschenke gekauft habe.«
Teresa lächelt traurig. Wie weit weg liegt doch ihre Hochzeitsreise! Wie wenig hat sie noch gemein mit der unschuldigen, verängstigten jungen Frau, die ihren Ehemann über alles anbetete.
Sie gehen zurück in den Salon, damit sie das Geschenk auspacken kann. Teresa setzt sich wieder auf den Sessel mit dem abgewetzten gelben Samtbezug.
»Die müssen zum Polsterer«, sagt sie in einem Tonfall, als habe sie vor, sich persönlich um die Reparatur zu kümmern.
Sie sitzen einander gegenüber.
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