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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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nimm dir, was du willst.«
    Laia gehorcht. Niemals hatte sie sich vorstellen können, dass ihre sehnlichsten Träume auf einmal so schmerzhaft in Erfüllung gehen. In Teresas Ankleide hängen noch die Düfte ihrer Señora und werden so lange an Laia haften, bis sie die Kleidung ablegt, die sie niemals hätte anziehen dürfen. Gelähmt vor Entsetzen, betrachtet Laia die Kleidungsstücke, die sie so oft bewundert hat, und kann sich für keines entscheiden.
    Inzwischen führt Amadeo, noch wütender als je zuvor, in dem Haus seine letzte Handlung aus. Er wird eines Tages, in einigen Jahren wiederkommen, aber dann wird nichts mehr so sein wie vor diesem Abend. Er hat den Farbkasten, die Palette und die Pinsel nach unten gebracht. Vor seinen Augen breitet er die Farben aus – Lila, Ocker, Indigo und Blau –, die für ihn ein Spiegel seines Gemütszustandes sind. Mit diesen Farben malt er, auf der Leiter stehend, die die Handwerker vergessen haben, sein erstes Fresko. Das wird kein Wandgemälde für irgendeinen Millionär in Tiana. Dies hier wird sein erstes Fresko sein, in seinem eigenen Haus, in dem ehemaligen Patio, der gerade zu einer Grabkammer umgewidmet wurde. Und das Motiv wird kein Pflanzenornament sein, kein Stillleben und auch keine Phantasie mit mythologischem Thema. Es wird sie sein. Seine Teresa. Eine unerreichbare Schönheit mit scheuem Blick, mit dem Blick, den ihre Augen heute Morgen zeigten, als sie ihn verlassen wollte. Teresa, wie sie über ihr Leben hinaussieht, über den Horizont hinweg, den er für sie entworfen hatte. Seine Teresa, die einzige Frau, die er glücklich machen wollte. Die er hoffnungslos verloren hat, auch wenn sie nun in diesen Mauern gefangen ist.
    Als Amadeo das Haus verlässt, in Begleitung des als Señora verkleideten Dienstmädchens, ist das Wandbild noch nicht vollständig getrocknet. Das dumpfe Knarren, mit dem die Flügel der Haustür geschlossen werden, hallt wie ein Echo durch die Zimmer, stur und hartnäckig, glücklich darüber, allein gelassen zu werden.
Von: Violeta Lax
Gesendet am: 19. April 2010
An: Valérie Rahal
Betreff: Entscheidungen

Liebe Mama,

gestern habe ich stundenlang mit Daniel geredet. Wir haben meinen Geburtstag im Aqua gefeiert, einem idyllischen Restaurant mit Terrasse am Meer – ich weiß doch, dass du die Beschreibung des Ambientes so schätzt! Ich freue mich riesig, dass Daniel hergeflogen ist (und das weißt du bestimmt auch zu schätzen), denn ohne ihn die Vollendung meiner vier Jahrzehnte zu begehen, wäre eine traurige Angelegenheit geworden.
Also: Ich habe beschlossen, die Leitung des neuen Museo Amadeo Lax anzunehmen. Zum Teil verdanke ich diesen Entschluss dir und deinen Worten. Du hast ja recht: Ich kann durchaus den Maler Lax bewundern und den Menschen Lax verabscheuen, ohne dass diese beiden Facetten meine Arbeit behindern. Aber ich kann auch etwas dafür tun, dass die Wahrheit ans Licht kommt, indem ich beispielsweise der Öffentlichkeit die wahre Persönlichkeit von Teresa Brusés bekannt mache. Indem ich über sie und über ihr Leben an der Seite einer so talentierten und so komplexen Künstlerpersönlichkeit wie Großvater schreibe.
In diesem Zusammenhang habe ich Gabriel Portal persönlich kennengelernt. Er ist ein Großneffe (oder so etwas Ähnliches) von Octavio Conde, also Teresas mutmaßlichem Geliebten, zu dem sie 1936 nach New York geflohen sein soll. Es fällt einem schwer zu akzeptieren, dass diese Behauptung auf Irrtümern, Klatsch und falschen Schlussfolgerungen beruht, aber so ist es. Ich vermute, die Tatsache, dass ihre vermeintliche Flucht mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges zusammenfiel, hat dazu beigetragen, dass das alles niemals ernsthaft recherchiert wurde. Der Einzige, der das je versucht hat, ist dieser verarmte distinguierte Herr, den ich kennenlernen durfte und der seit einigen Jahren damit beschäftigt ist, eine dokumentierte Geschichte seiner Familie zu schreiben. Als ich ihn fragte, was seiner Meinung nach aus Octavio Conde geworden ist, zuckte er nur die Achseln und sagte: »Er hat sich in Luft aufgelöst.«
Gabriel Portal konnte über seinen Vorfahr nur mit Gewissheit sagen, dass er für den Dampfer Magallanes , der die Strecke zwischen Barcelona und New York bediente, für den 25. Dezember 1932 eine Kabine reserviert hatte. Aber trotz aller Mühen ist es ihm nicht gelungen, in einem der Häfen, die das Schiff unterwegs angelaufen hat, eine Spur von Octavio zu finden – weder auf den Kanaren noch

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