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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Warnung mit, damit du nicht erschrickst: Ich komme mit einem eingegipsten Fuß nach Hause. Der Grund für die Verletzung ist wirklich ein bisschen peinlich. Als ich nach meinem Besuch mit Daniel in dem Familiensitz die Marmortreppe hinunterging, bin ich gegen das Weinblatt an der unteren Stufe gestoßen und völlig absurd gestolpert. Dabei habe ich mir die Bänder gezerrt. Ja, ich weiß. ich bin ein ewiger Tollpatsch. Wer zum Teufel ist bloß auf die Idee gekommen, ausgerechnet da, mitten im Weg, diese übertriebene Verzierung anzubringen?

Deine hinkende, produktive, barcelonesische und erneuerte

Violín
Barcelona, 30. November 1940
Lieber Amadeo,

ich habe große Zweifel, ob dich dieser Brief je erreichen wird. Da ich keine andere Adresse von dir habe, habe ich überlegt, ihn an das Hotel in Rom zu schicken, wo du dich das letzte Mal aufgehalten hast, als ich etwas von dir gehört habe. Ich hoffe, jemand wird ihn dir übergeben. Ich habe auch deiner Cousine Alexia geschrieben und sie gefragt, ob sie deinen Aufenthaltsort kennt, aber ich hatte kein Glück. Doch sie hat mir berichtet, dass es Modesto gut geht. Mit seinen sieben Jahren ist er schon ein großer Junge und scheint in die Fußstapfen seines Vaters zu treten: Alexia schreibt, dass Modesto sehr schön malt und dass er sich gerne Geschichten ausdenkt.
Hier im Haus hat sich sehr viel verändert. Ich schreibe dir, damit du auf dem Laufenden bist. Alle Möbel wurden gestohlen, ebenso die Wagen, die Lampen, die Teppiche, das Klavier, das Grammophon und alles Übrige, was irgendeinen Wert hatte. Dabei haben wir alles verteidigt wie die Löwen. Glücklicherweise konnten wir das Haus wenigstens vor den Bränden bewahren, die viele Häuser im Viertel zerstört haben und die zu einer ernsten Bedrohung geworden sind. Ich weiß zwar immer noch nicht, wie, aber es ist uns tatsächlich gelungen, die Bilder zu retten. Wir hatten sie in der ehemaligen Telefonkammer versteckt. Keiner dieser Barbaren kam auf die Idee, dort nachzusehen, oder sie interessierten sich einfach nicht für Gemälde.
Wir haben auch Violetas Zimmer retten können. Der geschickte Higinio ist auf die Idee gekommen. Kannst du dich noch an ihn erinnern? Vor dem Krieg hat er sich um die Reparaturen im Haus gekümmert, aber seitdem hat er viel dazugelernt. Eines Tages hat er erzählt, dass Gemeindemitglieder in einigen Pfarreien die Kapellen und Altäre in den Kirchen zugemauert haben, um zu verhindern, dass die Kirchenschänder sie zerstören. Irgendwoher hat er Ziegel und Zement beschafft und eigenhändig eine Wand hochgezogen, die wir dann gemeinsam geweißelt haben. Damals waren wir Dienstboten noch alle zusammen wie im letzten Sommer vor dem Krieg: Julián, Vicenta, Aurora und ich. Carmela war nicht mehr da, denn sie hat deine Anweisungen befolgt und den kleinen Modesto nach Avignon zu deiner Cousine gebracht. Carmela kam nicht mehr zurück, und wir haben nie wieder etwas von ihr gehört. Wahrscheinlich ist sie in ihr Heimatdorf zurückgekehrt. Ich glaube, ihre Eltern, die inzwischen schon sehr alt sein müssen, lebten noch dort.
Aber ich habe dir gerade von Violetas Zimmer geschrieben. Bevor die neue Wand die Tür verbarg, habe ich noch einige Erinnerungsstücke in ihr Zimmer gebracht: das Buch mit dem Ledereinband, das Teresa immer bei sich getragen hat, ein Messbuch, das mir deine Mutter geschenkt hat, als ich lesen lernte, und meine alte Keksdose mit Erinnerungen. Ich weiß, ich hebe darin nur ein paar alte Sachen auf, aber ich hatte das Gefühl, das ich damit auch die Erinnerung an Violeta gerettet habe, das geschätzte Andenken an deine Mutter und einige Bruchstücke der Familiengeschichte, die einen großen Teil meines Lebens auch meine Familiengeschichte gewesen ist.
In meinem Bericht vermisst du sicher die arme Laia. Sie war keine sechzehn, als der Krieg ausbrach. Du kannst dich bestimmt noch daran erinnern, dass sie den Sommer bei dir in Barcelona geblieben war. Also: Als wir Ende Juli 1936 wie durch ein Wunder lebendig aus Caldes wieder zurück in die Stadt kamen, war sie nicht mehr im Haus. Ihre Eltern haben immer gehofft, dass sie irgendwo überlebt hat oder dass sie sich vielleicht einer Gruppe Revolutionäre angeschlossen hat. Ich habe es ihnen niemals gesagt, aber ich bin immer davon überzeugt gewesen, dass jemand, der wusste, dass sie allein im Haus war und sich nicht verteidigen konnte, sie umgebracht hat. Zumindest ist es anderen Dienstmädchen, die so jung und so hübsch waren

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