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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Avenida Diagonal und Rambla de Catalunya zu erwerben. Die Welt der Textilindustrie hatte ihn nie übermäßig interessiert, aber die Chance, sehr viel Geld damit zu verdienen, bot ihm einen hervorragenden Anreiz, seine Vorlieben zu ändern. Also schickte er am nächsten Tag einen vornehm gekleideten Dienstboten zu dem venezianischen Palast der Familie Golorons in der Calle de la Riera in Mataró, der ein kurzes Billett überbrachte, in dem Don Rodolfo um ein Treffen bat. Dieses wurde für zwei Tage später angesetzt, morgens um halb neun. Don Rodolfo erfuhr nie, ob diese proletarische Uhrzeit der Notwendigkeit entsprang, in einem bereits übervollen Terminplan eine Lücke zu finden, oder ob der zukünftige Schwiegervater sein Interesse auf die Probe stellen wollte.
    Rodolfo brach am Vorabend um neun Uhr in Barcelona auf, und zwar in einer Kutsche der Casa Juan Rovira, die er eigens für diesen Anlass mietete. In El Masnou machte er Halt, um zu Abend zu essen, ein paar Stunden zu schlafen und so gut es ging Toilette zu machen. Am nächsten Morgen traf sein Wagen bereits um Viertel vor acht in der Calle de la Riera ein, die noch in der müßiggängerischen Morgendämmerung verharrte, und Rodolfo erfreute sich am Klang der Glocken der Basilika Santa María, die zum Acht-Uhr-Gottesdienst riefen. Auf der Kutschentür prangte der Slogan des Fuhrunternehmens Casa Juan Rovira, der ebenso gut sein eigener hätte sein können: Mit Fleiß und Sparsamkeit. Zu dem Anlass trug er einen neuen Zylinder und einen neuen Krawattenschal. ›Für so eine Gelegenheit kann man ruhig einmal Geld verschwenden‹, hatte er sich gedacht.
    Die Gebrüder Golorons traf er dann in einer Aufmachung an, als wären sie auf dem Weg zur Zwölf-Uhr-Messe. Nach der doppelten Audienz beim Vater und dem Onkel wurde das Mädchen benachrichtigt, das zu aller Missbilligung – außer von Rodolfo Lax – halb tot vor Neugierde die Treppe hinuntersauste. Glücklicherweise konnte sich die junge Dame gerade noch rechtzeitig zügeln und eine wenn auch nicht sonderlich überzeugende Gleichgültigkeit auf den unteren Treppenstufen vortäuschen, was die Gemüter wieder beruhigte. In dem düsteren Salon, der mit Möbeln vollgestellt war, die eher wie Altaraufsätze aussahen, improvisierte der Heiratskandidat mehr schlecht als recht eine Liebeserklärung vor der Erbin, die ihn ohne mit der Wimper zu zucken betrachtete und dabei versuchte zu ergründen, ob er auch in anderen Belangen so ungeschickt war.
    Trotz allem, oder womöglich um die Gelegenheit beim Schopf zu packen, dies herauszufinden, willigte sie ein.
    An jenem Tag speiste die Familie Golorons im großen Salon. Dabei stellte sie das gute Porzellan, die Kristallgläser und das Silberbesteck für besondere Gelegenheiten zur Schau. Die intime Atmosphäre des Mittagessens war der geeignete Rahmen, um die vergangenen Familienkatastrophen Revue passieren zu lassen, deren Aufzählung es den beiden Brüdern äußerst angetan hatte und unter denen der Tod der Gattin des jüngeren Bruders vor zehn Jahren einen besonderen Rang einnahm, auch wenn niemand die Todesursache an sich erwähnte. Die arme Verblichene hatte nach wie vor bei Tisch ihren eigenen Platz, der niemals abgedeckt wurde, und ihr zu Ehren trug der Witwer eine Trauerbinde, die er, so sagte er zumindest, bis zu seinem eigenen Tod zu tragen gedachte. Rodolfo hieß, ohne sich darüber zu äußern, die Gewohnheiten gut und war überaus geneigt, alle möglichen weiteren Familientraditionen zu akzeptieren, während er sich von dem lebhaften Blick der Erbin beobachtet sah. Man reichte vier Gänge, die von einem halben Dutzend Flaschen Wein und Sekt begleitet wurden und jeweils das Exquisiteste darstellten, was der Weinkeller hergab. Das Personal des Hauses war sprachlos und befürchtete, die Herrschaften, die sonst immer so reizlos lebten, stünden vor dem Ruin. Wie sonst ließe sich plötzlich eine bislang nie gekannte Freigebigkeit erklären?
    Sobald die Verlobten Gelegenheit erhielten, sich näher kennenzulernen, beglückwünschte sich jeder der beiden insgeheim zu diesem Schritt. Rodolfo war hingerissen von dieser sympathischen kleinen Revolutionärin, die nicht nur unermüdlich, sondern zudem eine Idealistin war, nicht sehr ansehnlich und vorlaut, aber von einer Liebenswürdigkeit, die alles übertraf, was er bis dahin erlebt hatte. Das Mädchen hieß Maria del Roser, aber für ihn war sie seine Rorró, Rorrita, Rorrorita, und er erfand noch zahlreiche

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