Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Menschen, die ihr Glück versuchten und ihr letztes Geld aufs Spiel setzen wollten. Rodolfo begriff sehr schnell, dass es dort zwar viele reiche Leute gab, die meisten von ihnen jedoch ein wenig gemächlich waren. Für den weiteren Aufschwung der Stadt war der Generationenwechsel überfällig, und Rodolfo tat einiges, um sich selbst als naheliegende Lösung zu präsentieren. Er studierte sehr genau die städtebaulichen Pläne und schüttelte bei Festivitäten der guten Gesellschaft zahlreiche Hände. Schließlich investierte er seinen letzten Real in den Kauf von Parzellen im Bereich des Paseo de Gracia, der Calle de Balmes sowie weiter oberhalb von Barcelona in einer Gegend, in der es nur Ackerland und Gartenbau gab. Er traf sich mit einflussreichen Persönlichkeiten und setzte seine innovativen Ideen durch, überzeugte die enteigneten Grundbesitzer davon, dass ihr Opfer dem Wohl der Stadt zugutekam. Er selbst zeigte sich häufig in den Baracken, in denen den Arbeitern ein derbes Unterhaltungsprogramm geboten wurde, bis sie ihn als einen der ihren betrachteten. Er verfeinerte sein Katalanisch, so dass er von eingefleischten Katalanisten respektiert wurde, er pries die Monarchie – aber nur, weil sie eine Freundin seiner Freunde war –, er wurde zum Freidenker, ohne seine sonntäglichen Gottesdienstbesuche aufzugeben. Er schloss sich den Streikenden an, wenn ihm das einen Vorteil bei der Zentralregierung in Madrid verschaffte, und als die katalanischen Minister in der Zentralregierung die Mehrheit stellten, frequentierte er das Hotel Palace in Madrid. Seine erfrischende Herzlichkeit im Einklang mit seiner geradlinigen Art und seinem offenkundigen Geschäftssinn kamen in dieser Schicht, die äußerst empfänglich für Gewinne war, außerordentlich gut an, bis schließlich Rodolfo Lax wenige Jahre nach seiner Ankunft in Barcelona ein reicher Mann war, der den begründeten Ruhm eines Visionärs genoss und den all seine neuen Freunde um Rat ersuchten, wenn sie eine Investition beabsichtigten.
»Die Avenida Diagonal ist gar nicht so weit weg, wie es aussieht! Auch wenn man es jetzt noch nicht glauben mag, in ein paar Jahren wird sie eine wichtige Verkehrsader sein!«, behauptete er begeistert.
Wer auf seinen Rat hörte, sah das Geld in den Kassen sehr schnell anwachsen. Die Großzügigkeit, mit der er seine profitablen Prophezeiungen teilte, brachte ihm in kurzer Zeit viele neue Freunde ein, die voll des Danks waren. Und reich an Einfluss. Bekanntlich ist ja haufenweise Geld der beste Dünger für gute, haltbare Beziehungen. Der hellsichtige Neuankömmling wurde somit zu einem der Geburtshelfer der neuen Stadt, in der die Träume der Idealisten mit den Geschäften der Pragmatiker eine Symbiose eingingen. Die einen und die anderen setzten seine Ratschläge um, noch ehe oder nachdem sie ihn zum Abendessen eingeladen hatten.
Don Rodolfo war kein Freund von Zeitverschwendung. Daher entschloss er sich, die gesellschaftlichen Treffen für seine Verlobung zu nutzen. Im Haus eines sehr vornehmen Freundes hörte er von einer jungen Dame aus Mataró, die zwar aus sehr guter Familie stammte, allerdings nichts als Grillen im Kopf hatte – obwohl man ihr eine sorgfältige Erziehung hatte angedeihen lassen. Sie konnte sticken und vernünftig kochen und wusste, wie viel Asche eine ordentliche Waschlauge enthalten muss. Dies war zumindest die Ansicht ihrer verzweifelten Eltern, die nur die Neigung ihrer einzigen Tochter sahen, an skandalösen Treffen teilzunehmen, wo es vor lauter Exzentrikern – um nicht zu sagen völlig Irren – nur so wimmelte, und von denen sie restlos zerstritten mit allen wichtigen Persönlichkeiten zurückkam.
Der Familienname – Golorons – war bis nach England und Amerika ein Inbegriff für Textilien aus Katalonien. Die Exportaktivitäten der beiden Brüder Golorons, Gesellschafter des Handelsgeschäftes, das sie von ihrem Vater geerbt hatten, waren so intensiv, dass sie einige Schiffe erwarben, um die Nachfrage ihrer zahlreichen ausländischen Kunden befriedigen zu können. Ihre geschäftlichen Beziehungen nötigten sie, ein Büro in Barcelona zu unterhalten, doch die beiden Provinzunternehmer hielten das Großstadtleben nicht aus. Sie bemühten sich, ihren Palast in Mataró so selten wie möglich zu verlassen, der mitten im Zentrum lag und dessen Architektur – wenn auch nur äußerlich – venezianisch inspiriert war, denn die Innenausstattung war von einer eremitischen Kargheit geprägt.
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