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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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einige Gesichter vertrauter vor als sonst: der Vizconde de Torres-Solanot, die Rednerin mit dem breiten Hut, Don Miguel Vives und sogar dieser junge Mann, der mit seiner Redegewandtheit alle Zuhörer sprachlos gemacht hatte. Aber anders als die übrigen Gäste fand sich der junge Mann zum ersten Mal im Hause Lax ein.
Von: Violeta Lax
Gesendet am: 15. März 2010
An: Valérie Rahal
Betreff: Zurückholen der verlorenen Zeit

Liebe Mama,

ich warne dich, dies wird eine sehr lange Mail werden, wie diese Briefe, die du so schätzt und die ich dir nie schreibe. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass die elektronische Post eine Kommunikationsmöglichkeit für uns beide darstellen könnte, aber jetzt, wo ich das entdeckt und Zeit habe und außerdem tausende Kilometer weit weg bin, will ich sie mir nicht entgehen lassen. Außerdem weiß ich, dass du dich freust, wenn ich dir viele Sachen erzähle. Du wirst es nicht glauben, aber ich trage liebend gerne zu deiner Freude bei, und sei es nur ein wenig.
Du weißt ja, dass ich die Wohnung in Barcelona, die mir Großvater vererbt hat, niemals verkaufen wollte. Einige Jahre lang habe ich sie vermietet. Dann stand sie leer, und ich habe sie behalten – als einen Ort, an den ich zurückkehren kann, falls ich es einmal nötig habe; als einen Raum, an dem ich zulassen kann, dass meine Erinnerungen Staub ansammeln. Ich habe immer gewusst, dass ich eines Tages wiederkommen würde.
In der ersten Nacht musste ich erst einmal meinen Widerwillen überwinden, ehe ich mich auf mein altes Bett legte. Da die Waschmaschine nicht funktioniert – es wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn doch –, konnte ich nur die Laken auf dem Balkon ausschütteln. Trotz allem schlief ich angezogen, sogar mit Mantel. Die Unbequemlichkeit vertrieb die Wehmut meiner ersten Stunden in Barcelona und zwang mich, mir die Frage zu stellen, ob dies tatsächlich dasselbe Bett ist wie mit fünfundzwanzig. Plötzlich kommt es mir unglaublich vor, dass ich einmal auf einer so schmalen Pritsche zu zweit schlafen konnte, und ich frage mich, was wohl kaputt gegangen war: das Bett oder meine romantische Neigung. Ja, ich weiß schon, theoretisch weißt du nichts von meinen damaligen Liebschaften, ich habe ja dafür gesorgt, sie vor dir zu verheimlichen. Aber ich vermute, dass du dir immer gedacht hast, dass mich in der Stadt etwas – oder jemand – viel stärker festhielt als meine Recherchen über das Werk von Großvater.
Am liebsten würde ich es dir erzählen. Am liebsten würde ich mich endlich von diesem lästigen Status einer Tochter befreien. Würdest du nicht auch gerne einmal nicht die Mutter spielen, und sei es nur für einen kurzen Moment? Denn ich fürchte, meine Geschichte ist für Mütter nicht geeignet.
Aber ich bin gerade beim Thema Bett stehengeblieben.
Ich habe es schließlich auf den Müll gebracht und ein anderes gekauft, das doppelt so groß ist. Von der Wehmut habe ich mich nicht befreien können, ich wusste ja, dass dies nicht so einfach sein würde. Noch nicht.
Also, zur Sache: Gestern ist Papa in Barcelona gelandet.
Seine Begrüßung ging so: »Töchterchen, du bist ganz bleich im Gesicht. Du siehst ja furchtbar aus!«
Also, er ist ganz der Alte.
Ich habe ihm dann erklärt, dass ich kaum geschlafen habe, ohne aber auf die Einzelheiten einzugehen. Sein Gepäck bestand aus einem Miniköfferchen. Ich habe ihn nur gefragt, ob dies alles sei.
»Meine Medizin, einmal Wechselwäsche und die Zahnbürste. Wenn ich noch etwas brauche, kann ich es mir ja kaufen«, war seine Antwort. »Diese Billigfluglinien verlieren immer alles, ich habe keine Lust, irgendein Risiko einzugehen.«
Ich war nur erstaunt, weil er allein kam, denn du hast mir doch gesagt, dass er eine neue junge Freundin hat.
»Amélie kommt am Donnerstag nach«, kam er mir zuvor. »Sie hat noch zu tun. Sie konnte nicht so plötzlich losfliegen.«
Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer Amélie ist. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, ob das die Frau ist, von der du mir erzählt hast. Ich vermute, es ist wieder einmal eine von diesen jüngeren Eintagsfliegen, die er als »meine Assistentin« bezeichnet. Und mit denen er dann wieder nicht mehr als ein paar Monate zusammen ist, oder?
Aber da ich weiß, dass es dich brennend interessiert, sage ich dir, dass Papa besser aussieht als je zuvor. Er wirkt gesund und ist so eitel wie immer. Wie er da gerade aus dem Flieger kam, glich er eher einem Dandy im Ausgehlook: glänzende Schuhe,

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