Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
überlässt, nahm Concha den Abend frei, aber erst nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Kinder genug zu sich genommen hatten und zufrieden schliefen. Für die Gelegenheit hatte sie ihre beste Uniform gebügelt und ihre Ausgehschuhe auf Hochglanz poliert. Außerdem hielt sie es für angemessen, ihr goldenes Amulett mit der Heiligen Jungfrau von Montserrat anzulegen, so dass jemand, der sie kannte, sehen konnte, dass ihre Señora im doppelten Wortsinn großzügig war. Sie trug es deutlich sichtbar über der Jacke, die sie aus wunderschöner marineblauer Wolle selbst gestrickt hatte, einem Geburtstagsgeschenk von Doña Maria del Roser.
Nach so vielen Vorbereitungen und dem Fußweg zur Gran Vía kam Concha an, als das Treffen bereits im Gang war. Die vom elektrischen Licht hell beleuchtete Fassade des Theaters beeindruckte sie sehr. Vor dem Eingang tummelten sich noch einige unschlüssige Passanten. Neben dem Haupteingang konnte sie auf der einen Seite die großen Lettern mit der Ankündigung Spiritistischer Abend erkennen und auf der anderen Seite das Werbeplakat für die so erfolgreiche Zarzuela Señoritas toreras , die in der Spielzeit auf dem Programm stand und von der Concha auch schon gehört hatte. Beim Hineingehen knarrten die Dielen unter ihren Schritten.
Der Theatersaal war ganz in Holz gestaltet, und die Parkettsitze waren mit blutrotem Samtstoff bezogen. Die Lampen leuchteten noch nicht mit dem modernen, grellen Licht, sondern wurden mit Gas betrieben und schufen ein geheimnisvolles Ambiente. Die Kinderfrau hielt nach einem freien Platz Ausschau und wurde ganz in der Nähe der Saaltür fündig, in der vorletzten Reihe. Der Gedanke, auf sich aufmerksam zu machen, und noch mehr, jemanden zu belästigen, machte sie nervös. Sobald sie saß, legte sie so gut es ging Wollschal und Hut ab, atmete tief durch, um ihre Nerven zu beruhigen, und erst dann konnte sie sich auf das Geschehen konzentrieren.
Auf der Bühne stand eine Dame mit einem eleganten Hut und hielt mit einer erstaunlichen Selbstsicherheit eine Ansprache: »Glauben Sie mir, unsere Ideen werden ihren Weg finden. Vor zwanzig Jahren hätten wir in diesem Theater keine zwanzig Zuhörer versammeln können. Und sehen Sie selbst, wie viele wir geworden sind!«
In der Tat, der Saal war fast vollständig besetzt. Nur wenige Sitzplätze waren noch frei, die allmählich von Nachzüglern eingenommen wurden. Neben Concha saß ein Herr, der aufmerksam zuhörte. Es gab noch zahlreiche andere Männer im Publikum, aber der Anteil der Frauen war weitaus höher. Einige trugen wie sie die Dienstmädchenuniform aus einem der angesehenen Häuser, aber es gab auch viele Arbeiterinnen mit unter dem Kinn verknoteten Kopftüchern und Schultertüchern aus Wolle sowie einige Männer, die ihre Schirmmützen in den Händen hielten, und andere, die ihre Zylinder auf den Knien balancierten. Manche Damen, deren gesellschaftlicher Status in dem Dämmerlicht schwer auszumachen war, waren mit ausladenden Hüten ausstaffiert, doch zahlreiche Zuhörer trugen sehr viel einfachere Kleidung. In den Reihen direkt vor der Bühne saßen die eher elegant gekleideten Besucher, auch wenn sie nicht übertrieben herausgeputzt waren, und lauschten den Ausführungen der Rednerin mit dem gleichen Interesse wie die übrigen Anwesenden. Anscheinend traf es zu, dass dort keine Unterschiede zwischen den Klassen gemacht wurden.
Nach dem Applaus kündigte die Frau mit dem imposanten Hut den nächsten Redner an: den Vizconde de Torres-Solanot. Allein die Nennung des Namens führte zu lautem Klatschen, so dass Concha vermutete, der Vizconde müsse auf dem Gebiet des Spiritismus eine bedeutende Persönlichkeit darstellen. Der Adelige war ein eher dicklicher Herr mit spitzem Schnauzbart und Baritonstimme. Sein Auftritt war nur kurz, er beschränkte sich darauf, den großartigen Zulauf zu würdigen und das Treffen für eröffnet zu erklären. Dann traten zwei Sängerinnen auf, die zwei wunderschöne Lieder zum Besten gaben, von denen Concha nicht ein Wort verstand, wahrscheinlich, weil es Texte in einer ihr fremden Sprache waren. Dennoch war sie von dem Liedvortrag sehr berührt – schließlich ist die Musik eine Sprache, die in der ganzen Welt verstanden wird –, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Dies war ihr Seelenzustand, als Doña Maria del Roser zum Rednerpult ging, und Concha klatschte, bis ihr die Hände wehtaten. Natürlich applaudierte sie nicht als
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