Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Hose mit akkurater Bügelfalte und eine weiche Lederjacke über den Schultern. Du weißt schon, eine dieser sündhaft teuren Maßanfertigungen, die an ihm immer so leger aussehen. Er hat immer noch seine graumelierte Mähne, seinen pechschwarzen Schnauzbart – also färbt er ihn nach wie vor – und sein elegantes Auftreten. Ich weiß schon, es klingt ein wenig kurios, wenn ich das sage, Mama, aber es wundert mich nicht, dass er damals fremdgegangen ist. Trotz seines Alters sieht er immer noch umwerfend aus.
Das Einzige, was sich inzwischen verändert hat, ist sein Umfang. Sein Körper ist nicht mehr so robust, und er erinnert ein wenig an ein Stück Obst, das gedörrt wurde. Geht er vielleicht nicht mehr ins Fitnessstudio? Aber ansonsten ist er wirklich ganz der Alte. Er hält sich mit jeder Lappalie auf, nichts entgeht ihm, er scherzt über dieses und jenes … zum Beispiel über die Bodenfliesen im neuen Terminal am Flughafen, die wie Spiegel sind.
»Da wird einem ja ganz schwindelig«, meinte er. »Aber beschweren sich denn die Frauen da nicht? Das ist doch für Spanner das reinste Vergnügen!«
Mama, ich kann nicht umhin, aber seine Begierde, Anekdoten zu sammeln, macht mich nach wie vor krank. Ich gebe ja zu, er ist geistreich und steckt die Leute in die Tasche, aber ich glaube ja, dass dies nur seine Art ist, ernste Gespräche zu vermeiden, in denen man früher oder später auf private Themen kommt – das Gebiet, das für ihn ein einziges Minenfeld ist. Ein Gespräch mit Papa, du weißt es ja zur Genüge, ist immer nur eine Abfolge von amüsanten und hirnrissigen Banalitäten. Und sobald er seine Anekdotensalve abgefeuert hat, bittet er um die Rechnung.
Höflichkeitshalber habe ich ihn gefragt, ob er die Tage in Barcelona bei mir verbringen möchte. Ich hatte völlig vergessen, dass Papa niemals in fremden Wohnungen übernachtet.
»Ich habe im Meridien reserviert, wie immer«, war seine gleichgültige Antwort. »Ich habe nicht vor, mir die Ramblas auch nur eine Minute entgehen zu lassen.«
In dem Moment musste ich an dich denken, Mama, ehrlich. An ein paar Worte, die du mir vor langer Zeit einmal gesagt hast.
»Dein Vater erträgt die Vorstellung nicht, sich an das Leben eines anderen Menschen anpassen zu müssen.«
Kannst du dich noch erinnern, wann du das gesagt hast? Wetten, dass nicht! Aber jetzt helfe ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge. Es war das erste Mal, als du zu mir auf gleicher Höhe, von du zu du, gesprochen hast. Wir saßen im Auto vor dem Haus, das Papa in Hendaye gemietet hatte, du wolltest gerade abreisen und ich sollte zum ersten Mal in meinem Leben meine Ferien mit ihm verbringen. Ich glaube, das war deine Art, mich auf das vorzubereiten, was mich erwartete.
Ich habe dich jetzt noch vor Augen: Du hattest eine rote Bluse an, und dein Haar hing locker über deine Schultern.
»Modesto hat so etwas noch nie für irgendein lebendiges Wesen getan, nicht einmal in den zwei Jahren, in denen wir zusammen waren. Es hat ihm schlicht und ergreifend niemand beigebracht, mit einem anderen Menschen zusammenzuleben. Bis er mich kennenlernte, ist er immer allein gewesen. Und jetzt, da ich nicht mehr bei ihm bin, wird er es immer bleiben.«
Das waren deine Worte. Sie sind in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich vermute, weil ich etwas begriff, das sich im Lauf der Zeit nur noch bestätigt hat. Irgendwie bedeutet das Wiedersehen mit Modesto, seine Absage auf mein Angebot und meine Erleichterung darüber auch eine Warnung: Ich bin genauso wie er. Ich werde auch immer allein sein, Mama, und ich bin es immer gewesen. Ich bin einfach nicht in der Lage, mich an einen anderen Menschen anzupassen. Das Einzige, was uns beide unterscheidet, ist meine Fähigkeit, dies zu vertuschen. Aber diese Dinge, wie fast alles, was uns zu außerordentlichen Anstrengungen nötigt, dürfen nicht lange dauern. Eines Tages werden mir meine Kinder das vorwerfen, und sie werden recht haben.
An all das musste ich denken, als Papa mich mit einer seiner typischen Fragen überraschte: »Werden die uns die ganze Zeit beschäftigen? Ich meine, die Polizei?«
Darauf habe ich ihm gesagt, dass ich es nicht weiß.
»Ich habe eine Menge zu erledigen«, behauptete er.
Für Papa war sein Aufenthalt in Barcelona so etwas wie ein Wochenendausflug. Ich glaube, er hat sich noch keinen Moment damit befasst, dass die ganze Situation irgendeinen ernsten Anlass haben könnte.
Ich habe ihn dann bis zur Rezeption im Hotel begleitet, das er betrat, als
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