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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Einzige, doch sie hörte als Letzte damit auf.
    Die Señora ging in ihrem Vortrag auf die Geschichte dieser eigentümlichen Wissenschaft ein, wegen der sie sich hier eingefunden hatten. Sie sprach ein wenig über den Materialismus, den sie alle mit ihren innovativen Ideen und Anschauungen bekämpfen wollten, sowie über die Bruderliebe und die Rettung der Nationen. Der Stärke der Ovationen nach zu urteilen, die erklangen, während sie an ihren Platz zurückkehrte, erntete sie einen gewaltigen Erfolg.
    Danach folgten mehrere Gedichtvorträge, weitere musikalische Darbietungen sowie eine Abschlussansprache voller für Concha unverständlicher Worte von einem Herrn mit Namen Don Miguel Vives.
    Als das gesamte Publikum die Versammlung bereits für beendet hielt, betrat der Vizconde erneut die Bühne. Er bat mit seiner dröhnenden Stimme um Ruhe und machte eine unerwartete Ankündigung: »Liebe Freunde, heute halten wir für Sie eine ganz besondere Überraschung bereit. Dank der Freundlichkeit eines unserer Mitglieder, des hochverehrten Don Eduardo Conde, ist uns kürzlich die Ehre zuteil geworden, einen blutjungen Mann kennenzulernen, der trotz seiner Jugend und seiner einfachen Herkunft unbestritten ein großartiges Talent für die spiritistische Wissenschaft darstellt. Ich bin davon überzeugt, dass wir noch viel von ihm hören werden, denn er verfügt über eine Wundergabe, und deshalb ist er auf dem Weg, zu einem unserer Glanzlichter zu werden. Heute sind wir sehr stolz darauf, ihn einladen zu können, ans Rednerpult zu gehen und uns einen Vortrag darüber zu halten, was unsere Ideen für ihn bedeuten. Sehr verehrte Damen und Herren, ich habe die Ehre, Ihnen Francisco Canals Ambrós bei seinem ersten öffentlichen Auftritt vorstellen zu dürfen.«
    Da kam um einen etwa zwanzigjährigen jungen Mann tosender Applaus auf. Er war hochgewachsen, hatte dichtes braunes Haar, volle Lippen, traurige Augen und gerötete Wangen. Sein Auftreten entsprach keineswegs der vollmundigen Präsentation, die seinem Auftritt voranging. Er trug eine Jacke, die ihm viel zu weit war, und seine Bewegungen wirkten eher unentschlossen.
    Doch sobald er den Mund aufmachte, schien seine ganze Unsicherheit zu verschwinden. Zuerst ließ er sich über den Spiritismus als moralische, wissenschaftliche sowie philosophische Instanz aus. Er erläuterte, dass die Kommunikation mit dem Jenseits und die Reinkarnation bewiesene Tatsachen seien. Er sprach sehr lange über viele Dinge – für Concha waren einige davon nur schwer zu behalten und manch andere absolut unverständlich –, ohne auch nur einmal aus dem Konzept zu kommen oder sich zu versprechen. Er hielt sein Publikum in Atem, und als er endete, erntete er einhelligen Applaus und Bewunderung.
    Nur der Herr, der neben Concha saß, wirkte unbeeindruckt. Dieser blickte plötzlich zu ihr hinüber und fragte sie voller Elan:
    »Hat Ihnen gefallen, was der junge Mann gesagt hat?«
    »Ja«, flüsterte Concha ein wenig verwirrt darüber, dass sie sich einfach so mit einem Fremden unterhielt. »Ihnen nicht?«
    »Doch, sehr. Aber ich spende keinen Beifall, weil nicht er selbst spricht«, antwortete der Herr.
    »Aber wer spricht denn dann?«, fragte Concha verblüfft zurück.
    Der Herr hob belehrend eine Hand, und während er zur Bühne zeigte, sagte er: »Aber Señorita, das ist doch offensichtlich. Aus seinem Mund spricht ein höherer Geist, der seine materielle Hülle verlassen hat.«
    Nach diesen Worten stand der Herr auf, verbeugte sich vor der Kinderfrau, bat darum, vorbeigelassen zu werden, und ging, noch ehe das Publikum in Scharen das Theater verließ.
    In jener Nacht konnte Concha kaum schlafen. Sie musste über das, was sie gesehen und gehört hatte, nachdenken. Am Morgen hatte sie sich schon wieder beruhigt und bedankte sich mehrfach bei der Señora für die Gelegenheit, die sie ihr gewährt hatte. Diese war sehr neugierig, Conchas Eindrücke zu erfahren. Doch deren Antwort war so konfus, dass Doña Maria del Roser sie unterbrach: »Conchita, du brauchst noch etwas Zeit, um all diese neuen Eindrücke zu verarbeiten, aber du hast einen sehr wichtigen ersten Schritt getan«, sagte sie, ehe sie verkündete: »Ich sage dir Bescheid, wenn wir wieder ein Treffen abhalten, damit du dich weiter informieren kannst. Der Spiritismus kann so begeisterungsfähige Menschen wie dich gut gebrauchen.«
    Als am nächsten Mittwochnachmittag pünktlich um halb vier die üblichen Gäste eintrafen, kamen Concha

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