Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
vermachte, mit der Auflage, das Gebäude zu einem Museum umzugestalten. Doch nun hat die Generalitat aus unerfindlichen Gründen entschieden, das Haus einem anderen Zweck zuzuführen. Gestern, nach sechsunddreißig Jahren Untätigkeit, stellte der beauftragte Architekt Ricard Selvas in einer Pressekonferenz das Projekt einer neuen Bibliothek persönlich vor, die den Namen des Malers tragen und 2013 eröffnet werden soll. Das Gebäude wird, so sieht es zumindest der Entwurf vor, über eine Fläche von 3000 m² verfügen und den in der Stadt einzigartigen Bestand von hunderttausend Bänden zur zeitgenössischen Kunst beherbergen. Zudem wird es darin eine Mediathek, eine Phonothek sowie einen kleineren Ausstellungsraum geben. Die Eröffnungsausstellung wird Amadeo Lax gewidmet sein.
Auf die Frage nach der Abwesenheit der Behördenvertreter bei der Pressekonferenz scherzte Ricard Selvas: »Politiker haben Wichtigeres zu tun.« Schade, dass nicht einmal die bevorstehenden Wahlen ausreichend Anlass bieten, damit die Verantwortlichen des öffentlichen Lebens sich zu einem Projekt bekennen, das fast vier Jahrzehnte auf seine Realisierung gewartet hat. Schließlich weicht der Plan komplett von der ursprünglichen Bestimmung ab und zeigt einen äußerst gewagten Improvisationsgrad.
XIII
Über folgende Ereignisse haben die Zeitungen nicht berichtet: Am frühen Morgen betritt der mit dem Projekt betraute Architekt Ricard Selvas das Gebäude, so unerschütterlich wie eine Planierraupe. Der Vergleich ist gar nicht so abwegig, denn die vordringliche Aufgabe der Männer, denen er Anweisungen erteilt, besteht darin, die Zwischenwände einzureißen, die den Plänen für die zukünftige Bibliothek im Weg stehen. Heute sind also die Stunden dieser Wände, an denen der Lauf der Zeit spurlos vorüberging, gezählt.
Der Besuch dient der Erkundung, der Architekt hält eine Farbspray-Dose parat. Mit einem roten Kreuz verurteilt er die Mauern, die entfernt werden müssen. Danach wird er sich in sein Büro und zu seinen Plänen zurückziehen, damit der Staub seinen Anzug nicht verschmutzt. Aber er hat nicht mit einem Hindernis gerechnet. Am zweiten Tag nach Beginn der Bauarbeiten ruft ihn der Polier an.
»Wir haben hinter einer Wand im zweiten Stockwerk eine Tür entdeckt. Möchten Sie sie selbst sehen, oder sollen wir sie gleich einreißen?«
Der Architekt ist ein verantwortungsvoller und neugieriger Mann. Er möchte die Tür sehen. Er trifft gegen Mittag ein. Die Bauarbeiter verbringen ihre Pause außerhalb. Eine dreckige Staubwolke liegt im ganzen Haus. Der Polier führt ihn ins zweite Stockwerk. Durch eine Öffnung in einer Seitenwand kann man eine zweiflügelige Holztür erkennen. Ein Flügel ist durch die Abrissarbeiten in der Mitte auseinandergerissen worden, und in dem anderen klafft ein Spalt, aber der Anstrich, ein zartes Rosa, ist noch zu erahnen. Ebenso der Türgriff, der überlebt hat.
»Merkwürdig«, meint der Polier. »Sie ist abgesperrt.«
Selvas untersucht den Fund. Er stößt heftig gegen das bereits eingeschlagene Holz, damit es ganz nachgibt. Auf der anderen Seite herrscht ein rätselhaftes Dunkel.
»Ich habe schon mal etwas über zugemauerte Altäre und Hauskapellen gelesen – aber warum mauert jemand ein Zimmer zu?«
»Müssen wir jemanden benachrichtigen?«, fragt der Polier.
Der Architekt hat auch schon daran gedacht. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste ist, diese Nervensäge von Arcadio Pérez anzurufen, damit er seine lästige Nase hineinsteckt, und damit eine Verzögerung der Bauarbeiten in Kauf zu nehmen, kaum dass sie begonnen haben. Und die zweite ist, so zu tun, als wäre dieser Fund keine Überraschung für sie. Oder besser noch: so zu tun, als habe es ihn gar nicht gegeben. Denn sobald die Abrissarbeiten der Zwischenwände abgeschlossen sind, wird niemand mehr die ehemaligen Räume erkennen.
»Reiß sie ein«, ordnet er an, »ich übernehme die Verantwortung dafür.«
Selvas ist ein vielbeschäftigter Mann. Nachmittags um drei Uhr hat er eine Sitzung ganz in der Nähe. Er ist gleich hergekommen, weil es für ihn am Weg lag, aber jetzt muss er gehen. Keine Dreiviertelstunde später ruft ihn der Polier schon wieder an.
»Ich bin in einem Meeting, Mann.«
»Es geht um das zugemauerte Zimmer. Da steht noch alles drin, auch ein Bett. Und es ist voll mit altem Krempel. Ich glaube, das sollte sich jemand ansehen, nicht, dass etwas davon noch wertvoll ist.«
»Schon gut, ich kümmere mich darum.
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