Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
zu errichten, kann man auch nichts anderes erwarten. Finden Sie vielleicht, Barcelona hat unterirdische Sauereien nötig? Was für ein Unsinn! Übrigens, mir ist zu Ohren gekommen, dass Plandiura, dieser Zuckerhändler, alle Altäre und Taufbecken aufkauft, derer er habhaft werden kann. Also, gegen einen Altar hätte ich natürlich auch nichts einzuwenden, aber nur, wenn er nicht voller Teufelsfratzen ist und gut in den Garten passt. Was meinen Sie?«
Da Rodolfo sich jeglichen Kommentars enthielt, sprach Bassegoda einfach weiter: »Ah, Don Rodolfo, können Sie sich noch daran erinnern, als wir nach Barcelona kamen? Das waren noch Zeiten! Damals hatte die Stadt Tore, die nachts abgeschlossen wurden, und vor jedem Tor war ein grimmiger Soldat postiert. Und als wir uns überall dem ›Nieder mit den Mauern‹ anschlossen, hat uns manch ein dekadenter Aristokrat angesehen, als wollten wir ihm etwas wegnehmen. Sie wissen ja gar nicht, was wir Alten hier alles auf die Beine gestellt haben. Die jetzige Stadterweiterung ist überhaupt nicht mit der damaligen zu vergleichen, selbst die Winter sind inzwischen anders. Sogar dem Wetter merkt man den Fortschritt an, nichts ist mehr so wie früher! Aber, eine Frage, meine Herren, wie steht es um Ihre Geschäfte? Verdienen Sie gut? Hegen Sie Heiratspläne? Denn lassen Sie sich eines gesagt sein, ohne Geld und ohne Weib lässt sich nicht gut leben!«
Nach diesen Worten schritt Don Ramón Bassegoda, Gründungsmitglied der Baufirma Constructora Catalana S. A., der während der Immobilienkrise im Jahr 1866 pleitegegangen und später als Theaterunternehmer wie Phönix aus der Asche auferstanden war, mit der Gemächlichkeit seiner vierundachtzig Jahre von dannen.
Nun war König Alfonso XIII. hinter den bunten Glasfenstern der Tür zu erkennen. Sofort verstummten alle Gespräche. Die königlichen Wachen ließen hastig von Kanapees und Kroketten ab und nahmen Haltung an. Die Bankunternehmer vertagten ihren Austausch von Anekdoten. Der Kardinal und seine Schäfchen bekreuzigten sich auf der Stelle, die Militärs schlugen die Hacken zusammen, und die Industriellen sahen sich gerettet. Zweifellos: Der König sah insgesamt etwas gesünder aus, nur seine paprikarote Nase bildete eine Ausnahme. Maria del Roser Golorons begrüßte ihn mit einem Knicks.
»Señora Lax, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie dankbar ich Ihnen für Ihre Gastfreundschaft bin«, sagte Alfonso XIII. mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen, während er nach den Händen seiner Gastgeberin griff. »Ich versichere Ihnen, ich werde mich dafür in irgendeiner Weise zu revanchieren wissen.«
Einige der Anwesenden deuteten diesen Satz aus königlichem Munde als Versprechen auf einen Adelstitel. Schließlich vergab Alfonso XIII. mit ebensolcher Lust derartige Pfründe, wie die wohlhabenden Bürger diese entgegennahmen.
»Majestät, Ihr Wohlergehen ist mir Lohn genug«, bedankte sich Maria del Roser, während sie die Augen niederschlug.
Die Hausherrin nutzte die glückliche Fügung, um ihre Tochter rufen zu lassen und das Personal in Aufstellung zu bringen. Violeta, die vor Verlegenheit bald umkam, zeigte wieder ihren typischen hilflosen Blick, wie ein Vogeljunges, das soeben aus dem Nest gefallen war. Der König küsste sie auf die Wangen und fragte sie nach ihrem Alter.
»Ich bin fast elf«, antwortete das Mädchen.
»Er wird sie noch anstecken«, flüsterte Concha.
Antonio Maura wollte nun endlich einen Toast ausbringen, wozu zwei weitere Kisten Veuve Clicquot vonnöten waren, was bei Eutimia zu einem Wutanfall führte.
»Dieser Mann müsste eigentlich wissen, dass es bei uns nicht wie im Parlament zugeht. Wir können doch keinen Champagner aus dem Zylinder zaubern wie er seine Gesetze«, murrte die Haushälterin.
Nach dem Toast wollte der König wieder das vorgesehene Programm absolvieren. Da der Imbiss, den man im Patio der Familie Lax gereicht hatte, so üppig ausgefallen war, wurde beschlossen, auf das Mittagessen zu verzichten und gleich zur Audienz überzugehen. In der protokollarisch korrekten Reihenfolge und ohne weitere besondere Vorkommnisse stiegen alle wieder in die Wagen, während Violeta im Salon am Klavier die »Marcha real« spielte. Die Letzten, die beim Klang der spanischen Nationalhymne die Treppe hinuntergingen, waren Don Rodolfo, der Kardinal, Antonio Maura sowie der König. Doña Maria del Roser beobachtete die Herren vom oberen Stockwerk aus. Sie war stolz darauf, ihren Rodolfo in
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