Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
hat.«
Maria del Roser setzte die Brille ab und verzog die Lippen.
»Worum ist es denn bei dem Streit gegangen?«
»Eifersucht. Die beiden wollten bei mir im Bett schlafen.«
Die Señora dachte nach.
»Ich glaube, du hast richtig gehandelt, Conchita.«, sagte sie dann. »Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast.«
Die Kinderfrau schien damit nicht zufrieden zu sein. Sie blieb noch einmal an der Tür stehen.
»Außerdem werden sich die Konflikte legen«, fügte Maria del Roser noch hinzu. »Amadeo ist nun fast zehn Jahre alt, und sein Vater und ich haben beschlossen, ihn in das Internat zu geben, das die Jesuitenpatres in Sarrià führen. Am 15. September werden wir uns von ihm bis zum nächsten Sommer verabschieden. Die Patres sind in solchen Dingen sehr streng und lassen die Schüler nicht einmal an den hohen Feiertagen nach Hause fahren.«
Für Concha bedeutete diese Nachricht eine eiskalte Dusche. Sie konnte darauf nicht einmal reagieren.
»Das ist alles, Conchita. Und bitte geh jetzt, ich muss noch einen Artikel fertigschreiben.«
Die Kinderfrau schloss die Tür hinter sich und blieb auf dem Flur stehen. Sie blickte geistesabwesend auf ihre Hände herunter, ganz vertieft in ihre Gedanken. Amadeo, ihr kleiner Junge, ihr süßes Kind, soll aufs Internat gehen … Sie hatte vor längerer Zeit über das Thema nachgedacht, nämlich als diese schlaffen, hageren Lehrer ins Haus kamen, die mit der gleichen Unlust Zeichen- wie Lateinstunden gaben, und war zu dem Schluss gekommen, dass die Herrschaften wohl entschieden hätten, die Kinder nach alter Sitte von Privatlehrern unterrichten zu lassen. Insofern wurde sie von dieser Neuigkeit sehr überrascht.
Mit pochendem Herzen kehrte sie ins Kinderzimmer zurück. Dort erwartete sie Amadeo auf dem Bett sitzend und blickte zur Tür wie ein Angeklagter, dessen letztes Stündlein geschlagen hat. Seine Geschwister frühstückten gerade unter Carmelas Obhut.
»Und, hast du mich verraten?«, fragte er, sobald er Concha erblickte.
Concha zog langsam die Tür zu. Sie schüttelte den Kopf. Der Junge warf sich mit einer solchen Wucht in ihre Arme, dass er sie beinahe umgeworfen hätte. Sie drückte ihr Gesicht an das dichte, dunkle Haar des Jungen, atmete tief durch und hätte am liebsten geweint. Dies war ihr Kind, ihr Amadeo, ihr Bonito, ihr kleiner Junge. Sie musste unablässig an Doña Maria del Rosers Worte denken und an das, was nun bevorstand. Wenn Amadeo dann nach Hause käme, würde er sich daran gewöhnt haben, ohne sie auszukommen, und sich wie der junge Herr benehmen, der er eines Tages sein würde.
Doch sie beherrschte sich und tadelte ihn, was schließlich ihre Pflicht war.
»Ich habe deinetwegen gelogen, so wie du mich gebeten hast, aber wenn du dein Versprechen nicht hältst, erzähle ich alles deiner Mutter, hast du mich verstanden?«
»Aber natürlich, Conchita! Du bist ein Engel! Ich hab dich so lieb!« Amadeo umklammerte ihre Taille und erstickte sie fast mit seinen Armen. Seine Kräfte waren nicht mehr die des kleinen Jungen, den sie meinte unbedingt beschützen zu müssen.
»Und jetzt geh frühstücken, deine Milch wird sonst kalt.«
Amadeo überhäufte sie noch mit einem halben Dutzend Küssen, ehe er sich zu seinen Geschwistern gesellte. Wie so oft genoss Concha auch diesmal die Zärtlichkeitsbeweise, und wie so oft stellte sie sich die Frage, ob diese für einen so großen Jungen noch schicklich waren. Natürlich ist jeder Mensch anders und hat eigene Bedürfnisse, die sich bereits im zarten Kindesalter zeigen, versuchte sich die Amme einzureden, während ihre Gedanken immer wieder abschweiften. Das Internat. Die Jesuiten in Sarrià. Im September.
Sie wagte nicht einmal, mit Amadeo darüber zu sprechen. Der Streit am frühen Morgen war einer der Gründe dafür. Juan war noch fast in der Nacht wegen eines Albtraums aufgewacht und verängstigt zur Kinderfrau ins Bett gekrochen. Aber als er die Bettdecke zur Seite schob, musste er feststellen, dass dort schon Amadeo lag und in sanftem Schlummer Conchas Körper umarmte.
»Ich habe Angst. Ich will bei dir schlafen«, bat Juan.
Amadeo drehte sich um. Im Halbschlaf forderte er seinen Bruder auf, wegzugehen, da dies sein Platz sei.
»Aber du bist schon lange da. Jetzt bin ich dran. Ich habe Angst«, wiederholte Juan.
Concha meinte, dass der Jüngere im Recht war und versuchte, Amadeo dies zu erklären. Aber Amadeo wollte und wollte es einfach nicht begreifen.
Da stand Concha auf und legte sich
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