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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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mit seinen bunten Wachsmalkreiden vollmalte. Er konnte jeden Tag viele Stunden – und große Mengen Papier – dafür verwenden. Maria del Roser machte darüber sogar Witze: »Du willst wieder Papier haben, mein Sohn? Du brauchst ja mehr Papier als alle Buchhalter deines Vaters zusammen! Du treibst uns noch in den Ruin!«
    Aber nun schienen seine Zeichnungen nicht mehr erwünscht, und Doña Maria del Roser hatte Concha sogar angewiesen, dafür zu sorgen, dass ihr Erstgeborener »nicht seine ganze Zeit mit Kritzeleien verplempert«, sondern sich mehr der Literatur zuwandte, die sie für nützlicher hielt. Concha bemühte sich wie immer, die Anweisungen der Señora umzusetzen, aber wenn sie zuweilen dieses schwierige Kind zum Lächeln bringen wollte, flüsterte sie ihm ins Ohr: »Sollen wir ein Blatt Papier suchen, und du malst eines von deinen schönen Porträts von mir, ja?«
    Diese List funktionierte jedes Mal. Wenn Amadeo ihr dann die Zeichnung brachte, fragte er sie: »Hebst du sie für immer in deiner Keksdose auf?«
    Concha sagte zwar jedes Mal »Ja«, aber danach zerriss sie – tieftraurig – das Papier und warf es in den Mülleimer, vor Angst, die Señora würde die Verschwörung aufdecken. Dennoch gelang es ihr, einige Skizzen aufzubewahren. Am meisten berührte sie die erste Zeichnung: ein krakeliger Stock für den Rumpf, ein eher oval geratener Kreis mit ein paar Häkchen für den Kopf, zwei riesige Hände mit mehreren Würsten als Finger sowie ein Lächeln, das über das ovale Gesicht hinausreichte. Mit seinen vier Jahren hatte Amadeo es schon verstanden, das Glück festzuhalten, das sie verspürte, wenn sie mit ihm zusammen war. Mit Tränen der Rührung in den Augen hatte Concha ihm damals versprochen: »Ich werde es für immer in meiner Keksdose aufbewahren.«
    »Bis du alt bist?«, fragte er.
    »Ja, bis ich alt bin.«
    »Und wirst du mich dann immer noch liebhaben?«
    »Aber ja, mein Schatz. Dann werde ich dich immer noch wie meinen eigenen Sohn lieben.«
    Aber das hatte sich alles vor dem Umzug zugetragen. Nun gestaltete sich die Szene anders.
    Die erste Nacht im neuen Haus führte zur Katastrophe. Amadeo rannte barfuß und starr vor Kälte über den Flur auf der Suche nach der Kinderfrau in deren Zimmer. Und wieder musste er entdecken, dass Juan bei Concha schlief. Amadeo bekam einen seiner Wutanfälle, und da Concha befürchtete, dass ihm das Gleiche wie zuvor passierte, nahm sie ihn schließlich auch zu sich und schlief mit den beiden Jungen in ihrem Bett. Am nächsten Morgen nahm sie sich Amadeo vor. Sie versuchte, ihm begreiflich zu machen, dass er sein Verhalten ändern müsse.
    »Du bist doch jetzt schon groß, Bonito. Demnächst schämst du dich, wenn du in mein Bett kommst. Du brauchst doch kein Kindermädchen mehr, und das ist ein Glück für dich, oder? Jetzt kannst du schon Dinge machen, die sonst nur Erwachsene tun. Alles, was du willst.«
    Bei diesen Worten zerriss es ihr selbst das Herz. Amadeo nickte beunruhigt.
    »Hast du jetzt Juan lieber als mich?«, fragte er mit gebrochener Stimme.
    Concha umschlang ihn mit aller Kraft und presste ihn gegen ihre Brust.
    »Aber nein, mein Junge, diese Frage muss ich dir doch wohl nicht beantworten, nicht wahr?«

    Die bevorstehende Sommerfrische brachte immer einen großen Aufruhr mit sich. Der erste Hinweis auf die Jahreszeit war der Besuch des Schusters in Begleitung seines Lehrlings, der eine riesige Truhe herbeischleppte. Die Kinder defilierten vor den Armsesseln im großen Salon auf und ab, immer genau dem Alter nach, und probierten geduldig die Schuhmodelle der Saison an, die der Lehrling vor ihren Augen präsentierte. Nach diesem Besuch standen noch weitere größere und kleinere Anschaffungen für die Ausflüge, die Schifffahrten sowie für die Promenaden am Strand an.
    Der Hutmacher war als Nächster an der Reihe. Er brachte eine ganze Ladung Hüte aus italienischem Stroh, die leicht und luftig und insofern für die heißen Monate geeignet waren. Für die Herren – inzwischen gehörten auch Amadeo und Juan dazu – gab es breitkrempige Hüte, um die Augen vor der Sonne zu schützen, für die Damen Florentinerhüte mit Bändern, Blumen oder kleinen Vögelchen als Zierrat. Und sobald alle wohl behütet waren, begann die Übersiedlung nach Caldes d’Estrac.
    Zuerst wurde das Personal auf die Reise geschickt. Sie brachen alle zusammen mit dem festen Vorsatz auf, die dortige Finca für die Herrschaften vorzubereiten. Die Köchin blieb

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