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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Arme und gelangt genau in dem Moment zu den beiden Streithähnen, in dem Amadeo den Pinienzapfen plötzlich loslässt und heulend ins Haus rennt. Daraufhin fällt Juan mit seinem Schatz in den Händen auf die Erde.
    »So ein Idiot. Der Zapfen ist meiner«, brummt er.
    »Du sollst deinen Bruder nicht als Idioten beschimpfen«, tadelt ihn Concha, während sie sich fragt, ob sie Amadeo nachlaufen oder ihm besser Zeit lassen soll, damit er sich wieder beruhigt.
    Doch noch bevor sie sich entscheiden kann, kommt Amadeo schon wieder zurück, mit hochroten Wangen und Ohren und einem wutverzerrten Gesicht. Er läuft mit großen, betonten Schritten und strahlt etwas Schreckliches aus, das Concha sich nicht erklären kann. Dabei hält er etwas in den Händen und blickt seinen Bruder herausfordernd an.
    Amadeo tritt zu ihnen, bleibt plötzlich stehen, und man sieht, was er in der Hand hält: einen kleinen Revolver mit Perlmuttkolben. Er sieht zwar wie ein Spielzeug aus, ist aber absolut echt. Die Waffe hat Don Rodolfos Mutter gehört, die sie einst stets unter ihrem Rock trug für den Fall, dass sie sich gegen unerwartete Angreifer verteidigen müsste. Und aus genau diesem Grund bewahrt Don Rodolfo sie griffbereit und geladen in der Kommode im Eingang auf. Amadeo richtet die Mündung gegen seine Schläfe und brüllt: »Gib mir den Zapfen, oder ich bringe mich um!«
    Concha unterdrückt einen gellenden Schrei. Sie versucht, ihm die Waffe zu entreißen. Der Junge entwischt ihr.
    »Lass mich«, brüllt Amadeo völlig außer sich.
    Die Kinderfrau bleibt wie angewurzelt stehen. Sie umschlingt Violeta, die andere Hand reicht sie Juan.
    »Gib mir endlich den Zapfen«, befiehlt sie dem Jüngeren.
    »Aber das ist meiner«, protestiert dieser, »ich habe ihn abgeschossen!«
    »Gib ihn mir jetzt sofort, Juan. Tu, was ich dir sage!«
    Conchas Herz rast. Sie weiß nicht, was sie tun soll, aber sie versucht, ihre Unschlüssigkeit zu verbergen. Juan gibt ihr den Pinienzapfen. Sie zeigt ihn Amadeo in ihrer offenen Hand.
    »Du kriegst ihn, wenn ich den Revolver bekomme«, sagt sie mit zittriger Stimme.
    »Ich will nicht. Der Revolver gehört meinem Vater.«
    »Genau deshalb wird er sehr ärgerlich werden, wenn er erfährt, dass du ihn dir genommen hast.«
    »Gib ihn mir, oder ich schieße!«, droht Amadeo, sein Finger liegt auf dem Abzug.
    Concha wirft den Pinienzapfen unter die Bäume. Sie läuft zu Juan, hebt ihn vom Boden auf und umschlingt ihn und seine Schwester. Amadeos Blick ist so furchteinflößend, dass ihr nur noch einfällt, die Kleinen davor zu schützen.
    Da hört man einen Schuss, und die Vögel fliegen auf. Amadeo läuft Richtung Strand. Die beiden jüngeren Geschwister brechen in Tränen aus. Die Kinderfrau auch. Als die drei Erwachsenen – Doña Maria del Roser, Don Rodolfo und Don Emilio – zu der Stelle im Garten kommen, wo sich alles zugetragen hat, entdecken sie drei verzweifelte Menschen und auf der Erde eine Smith & Wesson, Kaliber 32, die einmal der früheren Señora Lax gehört hatte, sowie die aufgeplatzten Reste eines Pinienzapfens.

    Nach dem schrecklichen Vorfall, von dem Concha in allen Einzelheiten berichtete, beschloss Don Rodolfo Lax, sich persönlich um die Erziehung seines älteren Sohnes zu kümmern. Er verbannte diesen für zwei Tage in ein Mansardenzimmer, wo er unter seiner Aufsicht nur das zu essen bekam, was ihm die Dienstmädchen servierten. Dann entschied er, ihn mit in die Stadt zurückzunehmen und dort drei Wochen in der Fabrik von Don Emilio arbeiten zu lassen, der es gewagt hatte, ihm nicht nur seine Hilfe anzubieten, sondern auch seine Meinung bezüglich der Erziehung von launischen Jungen zu äußern. Dieser Entschluss löste bei Concha und bei Doña Maria del Roser Tränen aus. Amadeo hingegen nahm das Urteil mit versteinerter Miene entgegen. Nur Concha wusste, wie viel Mühe ihn dieser vorgetäuschte Stolz kostete.
    Amadeo zog mit gesenktem Kopf ab, nach einem kurzen Abschied unter der Aufsicht seines Vaters. Concha umarmte er nicht wie üblich: Don Rodolfo hatte ihm diese Schwäche verboten. Amadeo sah ihr nur sehr ernst ihn die Augen und sagte: »Auf Wiedersehen, Conchita. Bis zu den Ferien im nächsten Jahr.«
    ›Bis zu den Ferien im nächsten Jahr!‹, wiederholte Concha in Gedanken. Dann flüsterte sie mit belegter Stimme: »Adieu, Bonito. Denk daran, dich nachts gut zuzudecken.«

    Don Emilio de la Cuadra kam aus Sueca, einem Ort bei Valencia, aber er war viel herumgekommen. Von

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