Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
selbstverständlich bis zum letzten Moment in Barcelona und übertrug einem geschulten Hausmädchen die Zubereitung der Speisen für die Sommermonate.
Die Kinder traten gemeinsam mit Concha die Reise im Wagen der Familie an, den Felipe steuerte, der in diesen Tagen von dem ganzen Hin und Her erschöpft war. Die Fahrt von Barcelona nach Caldes d’Estrac dauerte, die notwendigen Zwischenhalte eingeschlossen, fünf Stunden. Ihre Ankunft dort war immer ein Fest. Beim Promenieren auf dem Paseo de los Ingleses trafen sie stets Bekannte, die sie im Vorübergehen begrüßten. Allein der Anblick des nahen Meeres ließ ihre Herzen höher schlagen. Auf dem gedeckten Tisch erwartete sie ein üppiges Mahl, und ihre Zimmer dufteten nach Salz und sauberer Wäsche. Die Hausangestellten, die Barcelona als Letzte verließen, bedeckten alle Möbel im Stadtpalais mit weißen, maßgeschneiderten Hüllen. Nur nicht das Bett von Don Rodolfo sowie die Möbel im Kabinett, denn damals hatten die Familienoberhäupter noch nicht die Gewohnheit – oder die Lust –, den ganzen Sommer mit ihrer Familie zu verbringen.
In Caldes gab sich die Familie Lax den Freuden der Sommerfrische hin. Die Kinder bewegten sich viel und hatten einen tiefen und festen Schlaf. Verwandte kamen zu Besuch und blieben ganze Wochen, die Señora saß in ihrem Stuhl unter den Pinien im Garten, las dabei und schrieb und blickte immer wieder zum Horizont. Die Nachbarn veranstalteten Feste in ihren Pinienhainen, und wenn er schließlich auch dort eintraf, schockierte Don Rodolfo die Einheimischen, wenn er in Morgenmantel und Pantoffeln durch den Ort spazierte, während ihm der livrierte Felipe im Auto überallhin folgte. Die Tage verstrichen, ohne dass irgendjemand auf die Uhr sah oder sich sonderlich um etwas kümmerte.
Der schwere Vorfall, der zum ersten Mal diese Idylle störte, ereignete sich an einem dieser milden Sommernachmittage. Das Meeresrauschen im Hintergrund lud zu einer Siesta ein. Die Herrschaften nahmen den Kaffee in ihren Hängematten ein, in Gesellschaft des Unternehmers Don Emilio de la Cuadra, einem alten Freund der Familie. Die Kaffeelöffel klirrten in den Porzellantassen, das Gespräch zog sich in die Länge, und der Gast berichtete mit bestürzter, leiser Stimme über das Scheitern seiner letzten Unternehmung, von dem er nicht wusste, wie er sich davon erholen sollte.
»Er fährt einfach nicht, Don Rodolfo! Können Sie sich das erklären? So viele Jahre voller Experimente und Mühen, und das Ding bewegt sich langsamer als ein Granitfels! Aber das ist bei Weitem nicht das Schlimmste! Die Direktoren des Hotels Colón erwarten, dass ich ihnen im Oktober zwei meiner Luxusautobusse liefere, mit denen sie ihre Gäste abholen wollen, die mit dem Zug an der Estación de Francia in Barcelona ankommen. Wenn sie nicht mit Scheibengardinen und Samtpolstern zufrieden sind, dann …«
Don Rodolfo hörte sich das Leid des Automobilfabrikanten ruhig und interessiert an. Die Vögel piepsten unbeteiligt in den Bäumen. Die Wellen kamen und gingen. Am anderen Ende des Gartens bewachte Concha die wankenden Schritte der kleinen Violeta, und die beiden Brüder gingen einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nach: Sie schossen mit Steinen Pinienzapfen ab.
Die vier Jahre Vorsprung vor seinem Bruder hatten Amadeo immer begünstigt, obwohl er weder ausgesprochen sportlich noch sonderlich geschickt war. Juan hingegen war ein kluger, schneller und entschlossener Schüler. Es war leicht abzusehen, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er seinem älteren Bruder das Wasser reichen könnte.
An diesem Nachmittag galten ihre Schüsse einem Ziel, das wie immer Amadeo ausgesucht hatte: ein riesiger Pinienzapfen voller Pinienkerne. Juan ist an der Reihe.
Ein Wurf in die Höhe, ein dumpfer Schlag, und das Ziel fällt vor seine Füße. Der erfolgreiche Schütze nähert sich zufrieden und triumphierend der Trophäe, um sie aufzuheben, da fordert Amadeo den Zapfen für sich ein: »Ich habe ihn abgeschossen«, lügt er, während sich zwischen seinen Augenbrauen eine Furche bildet.
Sie beginnen zu raufen, doch Juan ist kräftiger, als Amadeo vermutet hat. Damit hat er nicht gerechnet.
»Was sagt du da? Das ist meiner! Gib ihn her!«, ruft der Zweitgeborene.
Amadeo ist nicht bereit, den Bruder als Sieger aus dem Streit hervorgehen zu lassen. Er erwidert: »Du hast noch nie getroffen!«
»Ich habe schon öfter als du getroffen! Du alter Lügner!«
Concha nimmt Violeta auf ihre
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