Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
Marsch nach Norden ihr Lager auf Rosehill, innerhalb der Einfriedung der alten Vexillatio-Festung aus der Zeit Agricolas aufschlug, deren Gebäude inzwischen wahrscheinlich verschwunden waren. Soweit alles klar?«
»Ja.«
»Einer der Gründe, weshalb Agricola diese Stelle ursprünglich ausgewählt hatte, war der Hafen«, fuhr ich fort. »Die römische Flotte mußte mit Schiffen landen können, die die Legionen auf ihrem Marsch nach Norden mit Proviant, Waffen und Werkzeugen versorgten.«
Die entscheidende Rolle, die die römische Kriegsflotte bei der Eroberung Britanniens gespielt hatte, wurde allzu häufig übersehen. Auch ich war zu sehr auf das Festland und die Ausgrabung festgelegt gewesen und hatte nicht an die Möglichkeit von Schiffen gedacht, bis Peter über Robbies Aussage gestolpert war.
»Robbie erwähnte ein Schiff, das nicht kam«, erklärte ich. »Und Peter denkt, daß es sich um ein Versorgungsschiff gehandelt haben könnte. Wenn die Männer von diesem Schiff abhängig waren, weil sie in ihrem Fort belagert oder angegriffen wurden …«
Sie nickte. »Richtig, sie könnten krank geworden oder verhungert sein.«
»Oder sie haben vielleicht sogar gemeutert. Die Neunte Legion«, bemerkte ich, »war berüchtigt für ihre Meutereien, soweit ich mich erinnere. Jedenfalls waren sie wahrscheinlich nicht in der Lage, ihren Angreifern lange zu widerstehen, als es zur letzten Schlacht kam.«
Sie räumte ein, daß die Theorie plausibel klang. »Was wurde aus den Überlebenden?«
»Das ist immer noch ein Rätsel. Aber wir wissen, daß der Wächter geblieben ist.« Die Gischt spritzte mir ein paar kalte Tropfen ins Gesicht. Sie hingen wie Tränen an meiner Wange und schmeckten ebenso salzig.
»Liebe und Ehre«, sagte Nancy Fortune, »ergeben eine vertrackte Kombination. Wenn er seiner Schwester wirklich versprochen hatte, ihren Geliebten vor Schaden zu bewahren, kann es gut sein, daß er glaubte, nicht mehr nach Hause zurückkehren zu können, weil sie ihm sein Versagen nicht verzeihen würde.«
»Vielleicht war er auch selbst tödlich verwundet, wer weiß?« warf ich ein.
»Er weiß es, darauf möchte ich wetten.«
Wir dachten beide eine Weile schweigend darüber nach, bis sie sagte: »Wirklich zu schade, daß ihr Robbie nicht einsetzen könnt.«
»Ja, finde ich auch, aber nach all dem, was passiert ist …« Ich schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, es ist einfach zu riskant. Und ich bin noch nicht einmal so sicher, ob Robbie uns die Beweise für eine Masseneinäscherung liefern könnte – nach Asche und verkohlten Knochenresten zu suchen, die über das ganze Feld verstreut sind, wäre eine mörderisch schwierige Aufgabe. Trotzdem denke ich, daß wir mit ausreichend Geduld beim Graben früher oder später auf Beweise stoßen werden.«
Der unablässige Wind riß an meinen Haaren, doch ich spürte auf einmal die Wärme ihres Blicks auf meinem Gesicht. »Sie glauben also an Peters Theorien.«
»Ja, das tue ich. Aber es ist auch schwer, ihm nicht zu glauben, oder? Er hat diese Art, einen anzusehen und seine Erklärungen vorzutragen, daß man sich gar nicht mehr vorstellen kann, wie es anders hätte gewesen sein können. Wissen Sie, was ich meine?«
Ein verstehendes Lächeln verlieh ihren Zügen eine ungeahnte Sanftheit. »Ja, das sagt Davy auch immer.«
Ich schwieg einen Moment nachdenklich und kaute auf meiner Unterlippe. Dann sagte ich zögernd: »Sie sind sich sehr ähnlich, Peter und David, nicht wahr?«
»Sehr«, bestätigte sie.
Unsere Blicke begegneten sich für den Bruchteil einer Sekunde, dann wandte ich mich wieder ab. Misch dich nicht in fremde Angelegenheiten, sagte ich mir. Auch wenn ich einen Verdacht hatte und viele Fragen stellen wollte, gingen mich die Antworten im Grunde nichts an.
Ich lenkte mich ab, indem ich die heranrollenden Wellen betrachtete und zusah, wie sich weiße Schaumkronen auf ihnen bildeten, ehe sie sich auf dem nassen Sand zu Tode stürzten. Sie erinnerten wirklich an die Mähnen wild herangaloppierender Pferde, dachte ich, genau wie Peter gesagt hatte. Die Pferde des irischen Meeresgottes, die kamen, um die Toten zu holen.
Davids Mutter beobachtete mich von der Seite, und nach einer langen Pause sagte sie schlicht: »Er weiß es nicht.«
Ich sah sie an. »Wie bitte?«
»Davy. Er weiß nicht, wer sein wirklicher Vater ist. Das fragst du dich doch, oder?« Sie lächelte über mein schuldbewußtes Schweigen und fuhr mit dem Du fort. »Ich schäme mich nicht,
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