Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
es dir zu sagen, Mädchen. Du hast mehr Recht darauf, es zu erfahren, als sonst irgend jemand, und wenn du nicht weißt, warum«, sagte sie und erstickte meinen Protest im Keim, »dann bist du doch nicht so klug, wie ich dich eingeschätzt habe.« Ihr Blick war forschend, aber freundlich. »Du bist mir sehr ähnlich, Verity Grey. Und wenn du damals, vor all diesen Jahren, für Peter Quinnell gearbeitet hättest …«
»Wenn ich damals für Peter gearbeitet hätte«, gestand ich ihr ehrlich, »hätte ich mich in ihn verliebt.«
»Ja. Das hättest du. Und ich war in ihn verliebt, sehr sogar. Er war natürlich verheiratet zu der Zeit.«
»Aber nicht glücklich.«
»Nein, nicht glücklich. Aber so war es nun einmal.« Sie tat das Unabänderliche mit einem Schulterzucken ab und sah hinaus aufs Meer.
»Konnte er sich nicht …« Ich räusperte mich verlegen. »Ich meine, eine Geisteskrankheit galt doch sicher auch damals schon als Scheidungsgrund.«
»Sicher«, antwortete sie. »Aber da war auch noch Philip, mußt du bedenken.«
»Ja, schon, aber …«
»Philip hatte uns entdeckt«, sagte sie langsam. »Eines Tages, durch Zufall. Etwas von der Krankheit seiner Mutter war auch auf ihn übergegangen, und als er mich mit Peter sah, drehte er durch. Es war schrecklich für Peter – Philip hat ihm nie verziehen. An allem, was später in seinem Leben schiefging, gab er seinem Vater die Schuld. Am Tod seiner Mutter, seiner eigenen gescheiterten Ehe, seinen Geldproblemen, einfach an allem.« Sie schüttelte den Kopf. »Philip hatte wirklich ein Talent zum Haß.«
»Um so mehr Grund für Peter, die beiden zu verlassen«, lautete mein Kommentar.
»Vielleicht. Aber Peter liebte den Jungen, ich sah, welchen Schmerz ihm ihr Zerwürfnis bereitete. Und ich wollte nicht, daß er sich innerlich zerrissen fühlte. Ich wußte, er hätte sich von Elizabeth scheiden lassen, wenn er erfahren hätte, daß ich von ihm schwanger war.«
Ich blinzelte sie erstaunt an. »Wenn er …«
»Er hätte darauf bestanden, mich zu heiraten«, sagte sie. »Um sich um mich zu kümmern, für mich zu sorgen. So ist er nun einmal. Und ich hätte es gehaßt.«
»Aber Sie … du liebtest ihn doch.«
Sie sah in die Ferne, und ich merkte, daß sie nach den richtigen Worten suchte, um es mir zu erklären. »Liebe und Ehe waren damals zwei ganz verschiedene Dinge für mich. Zu heiraten bedeutete, sich festzulegen, sich ganz an einen Mann zu binden, die eigene Unabhängigkeit zu verlieren. Sosehr ich Peter liebte – und ich habe ihn furchtbar geliebt –, liebte ich mich selbst doch noch mehr«, sagte sie. Wieder blitzte das kleine Lächeln auf.«Ich war noch jung damals.«
Eine Möwe stieß direkt vor mir herab und ließ sich dicht über dem Wasser vom Wind tragen. »Aber du hast dann trotzdem geheiratet.«
»Ja, auf dem Papier. Billy Fortune war ein alter Freund, eine gute Seele. Es war sein Vorschlag – um meinen Ruf zu retten und dem Jungen einen Namen zu geben. Wir wollten die Ehe zwei Jahre bestehen lassen und uns dann scheiden lassen, aber Billy starb noch vorher.« Ihre Stimme war so erstaunlich ruhig, dachte ich. Als würde sie mir die Geschichte einer anderen Frau erzählen und nicht ihre eigene. »Der arme Billy«, sagte sie. »Peter mochte ihn nie besonders. Konnte nicht verstehen, warum ich einen Fischer heiraten wollte.«
Ich bemühte mich, alles richtig zu verstehen. »Peter … Peter weiß also nichts davon?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nachdem Billy gestorben war, zog er Davy praktisch mit auf – er konnte nicht anders. Aber für Peter ist Davy der Sohn von Billy Fortune.«
»Und David hat auch keine Ahnung.«
»Genau.«
»Aber warum …?«
»Warum ich es dir dann erzähle?« Die klaren blauen Augen, die denen ihres Sohnes so ähnlich waren, sahen mich durchdringend an. »Weil David, wie du selbst gesagt hast, seinem Vater sehr ähnlich ist. Und du, Mädchen, bist wie ich eine schwierige Frau.«
»Hmm, na ja, aber …«
»Ich habe mich für einen bestimmten Weg entschieden, will ich damit sagen. Ich bin diesen Weg gegangen, und nun, wo ich alt bin, sehe ich, daß es nicht unbedingt der beste Weg war.«
Die Silbermöwe stieß einen Schrei aus, und Nancy Fortune folgte dem Flug ihres Schattens mit grüblerischem Blick, sah zu, wie er über die Wellen glitt, die mit solcher Macht heranrollten, daß sie den Sand aufwühlten und den schmalen Strandstreifen unter der Brandung begruben.
»Aber es ist doch nicht zu spät,
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