Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
weißen Haaren, die in weichen Wellen um ihren Kopf lagen. Aber Granny Nan ähnelte meiner Granny Grey nicht im geringsten.
Sie erinnerte mich an diese wunderbar selbstbewußten Filmstars der dreißiger und vierziger Jahre, die den Konventionen trotzten, indem sie Hosen trugen und geschliffene, ironische Bemerkungen von sich gaben. Sie war groß für eine Frau, hatte eine kerzengerade Haltung und diese kräftige, entschiedene Kinnlinie, die sie an ihren Sohn weitergegeben hatte. Ihre Augen standen weiter auseinander als Davids, und der Mund war anders geformt, aber ihr Haar war einmal tiefschwarz gewesen wie seines – Spuren davon waren noch in den stahlgrauen, kurzgeschnittenen Locken zu sehen, die ein Gesicht umrahmten, das in seiner Jugend hübsch gewesen sein mußte und jetzt im Alter von beeindruckender Schönheit war. Ihr schwaches Herz hatte ihr Gesicht zwar mit einer leichten Röte überzogen, aber ihr Teint war hell und glatt geblieben. Kaum eine Falte hatte sich in die lebendigen Züge gegraben, und in den blauen Augen lag jene sympathische Mischung aus Intelligenz und Humor, die mir inzwischen sehr vertraut vorkam.
»Touristen«, sagte sie mit einem breiten Lächeln und strich mit den Händen über ihre Cordhose. »Wie kann man nur für das Bank-Holiday-Wochenende kein Zimmer reservieren? Sie haben Glück, daß Margaret und Jimmy sie aufnehmen konnten.«
»Sie werden dir vom Himmel geschickt, um dich zu prüfen«, Jeannie lachte. Dann brach sie ab und schnupperte mißtrauisch. »Du hast doch nicht etwa …«
»Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Doch, hast du wohl, ich rieche es doch.« Jeannie schnupperte wie zum Beweis noch einmal, und diesmal konnte auch ich den leichten Tabakgeruch in der Luft wahrnehmen, aber Granny Nan ließ sich nicht einschüchtern.
»Dein Vater ist schuld daran«, sagte sie. »Er war vor knapp einer Stunde hier, hat meine Kekse aufgegessen und mir erzählt, was sich auf Rosehill so abspielt. Er hat mir auch von diesem Mädchen berichtet«, fügte sie augenzwinkernd hinzu. »Wie ich höre, hält unser Robbie sie für einen stoater .«
»Ja, nun, ich glaube, da ist er nicht der einzige.«
»Nein, der alte Wally war auch ganz angetan von ihr. Sogar mein Davy hat verlauten lassen, daß sie schönes langes Haar hätte, und er beachtet eine Frau normalerweise erst, wenn sie seit mindestens dreihundert Jahren tot ist.«
Nach diesem Wortwechsel, bei dem ich mir große Mühe geben mußte, nicht rot zu werden, machte Jeannie uns schließlich offiziell miteinander bekannt. Zu meiner Erleichterung erfuhr ich, daß Davids Mutter einen richtigen Namen hatte – Nancy Fortune. Es wäre mir wirklich zu peinlich gewesen, sie mit »Granny Nan« anzusprechen.
Als wir uns die Hände gaben, deutete sie amüsiert mit dem Kinn auf meinen singenden Haggis. »Sie haben schon einen Freund hier gefunden, ja?«
»Ja, na ja …«
Jeannie mischte sich grinsend ein. »Sie ist ganz begeistert von ihm. Und du solltest ihr auch eins von diesen hier verkaufen.«
Diesmal sah ich die Bücher, auf die sie zeigte, und nahm ein Exemplar vom Regal. »Oh, natürlich«, sagte ich. »Ein Schottisch-Wörterbuch.«
»Scots«, verbesserte Nancy Fortune mich. »Richtig müßte es Scots-Wörterbuch heißen. Schottisch ist alles, was mit Schottland zu tun hat, aber die Sprache heißt Scots. Die meisten Schotten sprechen Scots.« Sie lächelte breit. »Außer in den Highlands, dort oben sprechen manche noch Gälisch. Und was wir hier unten im Grenzland sprechen, unterscheidet sich wiederum von dem, was Sie in Aberdeen hören.«
»Aha.« Ich blätterte in dem kleinen Taschenbuch und überflog die seltsam aussehenden Wörter. Stoater. Fantoosh. Oose. Wie kam man bloß auf solche Ausdrücke?
»O ja, oose «, sagte Jeannie, als ich das letzte Wort laut vorlas. Sie lehnte sich gegen die Rezeption und verdrehte selbstironisch die Augen. »Flockiger Staub, so wie der, den ich massenweise zu Hause unter den Betten habe. Wie nennt ihr ihn in England?«
Ich zuckte hilflos die Achseln. »Staub halt.«
»So eine phantasielose Sprache, Englisch«, sagte Davids Mutter. »Obwohl das Englisch im Norden schon ein bißchen wie Scots klingt, wir kennen teilweise dieselben Ausdrücke. Und dann gibt es noch das Ulster Scots in Nordirland. Peter sagt immer, daß er überhaupt keine Schwierigkeiten hatte, uns zu verstehen, als er das erste Mal herüberkam – es würde wie bei ihm zu Hause klingen.«
Ich lächelte. »Er lebt aber schon
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