Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
kommt zuletzt. Wahrscheinlich macht er noch schnell hinter der Bühne eine Inspektion. Ob sie auch alle gut präpariert sind. Prüft die Instrumente. Geht die Besetzungsliste noch mal durch. Ob er nicht im letzten Moment eine Änderung vornehmen soll. Oh, ich glaube, er weiß nicht, wie sehr sie ihn wegen seiner Pedanterie hassen. Wie sie ihn, wenn sie ihn auch lieben, fürchten.
Hinter den Mays öffnete sich die Tür, Licht flutete vom Gang herein, der Kapellmeister betrat mit seiner Gattin die Loge. May wollte sich erheben, doch Schuch drückte ihn nieder.
Bleiben S’ doch sitzen, Herr Doktor, rief er fröhlich. Und da über Mays Gesicht ein Schatten zog, ergänzte er, ei joh, i weiß, den Doktor mögen S’ nett zu sehr, sagn mer also „Shatterhand“. Na, mein Lieber, was schreiben S’ denn so? I hab grad Ihren „Surehand“ glesen, ein grandioses Gaudi. Itz liest’s mein Ältester, und die Liesl hats a schon haben wolln.
Karl May, breit lächelnd, dankte, tätschelte dem Kapellmeister väterlich den Arm.
Die Mays hatten sich nun doch erhoben. Schuch, einen Kopf größer als sein Gegenüber, schlug dem Schriftsteller jovial auf die Schulter. Er freue sich, rief er mit einer Stimme, als gelte es in der Orchesterpobe zu Wort zu kommen und auch ohne jede Rücksicht etwa in den Nachbarlogen oder im Parkett gehört zu werden, ja, er freue sich sehr, seinen guten alten Shatterhand heute in der Generalsloge zu begrüßen.
Sie werden sehen, mein Lieber, der Lohengrin ist heuer ganz passabel!
Und Schuch sagte dies in einem Gastgeberton, als preise er ein Österreichisches Tafelspitz. Freilich der Bary, sprach er leiser weiter, der Alfred von Bary in der Titelpartie sei bei Weitem nicht sein alter Lorenzo Riese, aber niemand könne ewig den Helden geben, auch und erst recht kein Tenor, ha, ha.
May nickte ernst, strich sich über sein Kinnbärtchen.
Indes, die Frauen duzten sich, plauderten. Guten Abend, Clementine! Grüß di Klara! Leise tauschten sie ein paar Neuigkeiten aus, begutachteten, lobten wechselseitig ihre Kleider.
Schau die Weibats! lachte Schuch und stieß May in die Seite.
Auf einmal trat Frau von Schuch an die Männer heran, schaute ihrem Kapellmeistergatten ins Gesicht, sagte: Ich hab alles gehört, Ernst. Mach mir nur den Bary net so schlecht. Ich habe dir schon gesagt, einen besseren lyrischen kriegst net, sei froh, dass er vorerst hier in Dresden bleiben will … Ja, ja, Clementine, brummte Schuch, nimm nur für deine Kollegen Partei. Ist schon recht.
Man setzte sich. Man nahm die Programmzettel zur Hand. Schuch fingerte seinen Kneifer aus der Westentasche, ein edles Stück, feiner dünner Goldrahmen, am Goldkettchen, die Gläser blassblau getönt. Er sah Mays Blick, lachte, rief:
Ja, ohne das Nasnradl geht’s nimmer. Und leiser, vertraulich, sich zu May beugend: Is sauteuer gewesen, das Stück, mein Lieber. Seine Frau Clementine, mit ihrem feinen Sängerinnen-Ohr, hatte wieder zugehört. Sie warf ihm einen strafenden Blick zu. Der hieß: Nimm dich zusammen, Ernst! Solche Worte, hier … pfui.
Schuch verstummte, zog die Besetzungsliste näher an die Augen, las.
Die Uhr über der Bühne rückte weiter, eine römische Ziffer verschwand, die nächste erschien. Von den Gängen und dem Foyer erklang das bekannte Klingeln. Obwohl May neben ihm mucksmäuschenstill war, legte Schuch einen Finger vor den Mund, verdrehte die Augen. Still, es geht los! flüsterte er, saß gespannt wie ein Schuljunge. Langsam verlöschte im Saal das Licht.
Vorn, im Orchestergraben, Hermann Kutzschbach, Schuchs Vertretung für heute Abend erschien. Beifall. Artig, nicht enthusiastisch. Das konservative Dresdner Publikum liebte keine Wechsel am Pult. Man war Schuch gewöhnt und wollte Schuch. Am liebsten jeden Abend. Nun gut, das eine Mal, heute soll der Junge seine Chance haben. Schuch soll ihn ja sehr schätzen, also tolerierte man den jungen Mann. Das eine Mal. Gut.
Unsertwechen.
Kutzschbach verneigte sich, ein Mal nach links, ein Mal nach rechts, zum Schluss zur Königsloge hin, die heute leer war, dann wandte er sich den Musikern zu, hob die Arme, beinahe wie Schuch selber, wie ihn alle Welt von den Bildern Robert Sterls kennt. Man wusste, es war dies das Zeichen Schuch’scher Konzentration und Kunstgebietung: die Arme erhoben, ein wenig ausgebreitet, wie ein Gekreuzigter, ein Fanal, das Ereignis ankündigend, das in den nächsten Stunden die Zuhörer heimsuchen, in seinen Bann ziehen wird.
Kutzschbach war
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