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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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ein junger dunkelhaariger Mann mit einem stutzerhaften Oberlippenbärtchen, dem man, traf man ihn auf der Straße, niemals zugetraut haben würde, ein Orchester zu leiten. Viel eher hätte man ihn für einen Friseur, einen Handelsvertreter oder einen schwärmenden Schöngeist gehalten. Und doch war er ein begnadeter Musiker, in Meißen bei Dresden geboren, als Geiger bekannt geworden, wirkte er auch als Musikpädagoge und Korrepetitor, Kutzschbach war ehrgeizig, zäh, voller Energie, mit einem enormen Gedächtnis ausgestattet. Partituren, einmal durchgearbeitet, beherrschte er aus dem Gedächtnis. Schuch liebte ihn wie seinen Sohn, sah ihn als seinen Nachfolger. Auch jetzt strahlten die Augen des Generals in der Loge, wie er seinen Vertreter sah.
    Die Ouvertüre begann. Die hohen Streichertöne schwebten aus dem Graben in den Saal. Leise zunächst, vorsichtig, geheimnisvoll. Fast ein wenig zittrig, das Hauptmotiv einleitend, sich dann allmählich steigernd, schwellend, machtvoller werdend. Wie ein Erglühen, das zum Feuer, zum alles verzehrenden Brand wird, ein Feuer, das Wehmut, Trauer und den Hymnus des Heldischen mit sich bringt.
    May sah zu seinem Nachbarn Ernst von Schuch. Der schien wie elektrisiert. Kerzengerade saß er, den Blick starr nach vorn. Seine Hände lagen auf den Knien, aber sie zuckten, zitterten und bebten, als ob er im Geiste den Dirigentenstab hielte. Geradeso wie mein Verleger Fehsenfeld, dachte May, der passionierte Autofahrer, der, wenn er einmal auf dem Beifahrersitz sitzt und irgendein anderer Fahrer das Automobil steuert, sich nicht beherrschen kann und ganz so tut, als lenke er selber das Fahrzeug. Auch Fehsenfeld, erinnerte sich May, zappelte dann auf seinem Sitz, trat mit den Füßen auf imaginäre Bremspedale, machte mit den Händen Bewegungen, als säße er am Steuer, schrie dazu andauernd:
Pass doch auf!
oder
Vorsicht, dort vorn, die Kurve!,
genauso wie Ernst von Schuch, sein musikalischer Freund, jetzt neben ihm, der in seiner Erregung nicht etwa schwieg, auch nicht mehr unbeweglich saß, sondern auf dem rotgepolsterten Logensitz hin und her rutschtend gepresst ausatmete, der zischte und prustete, auf Österreichisch fluchte:
Oh, diese blattlweichen Bratlgeiger!
    Plötzlich innehaltend, beugte sich der Kapellmeister zu Karl May herüber, hielt die eine Handfläche schräg vor den Mund, flüsterte:
Ich störe doch Ihren Kunstgenuss nicht, mein Lieber?
May hob beschwichtigend die Hand, eigentlich hatte er ein „Psst!“ andeuten wollen, nun aber wurde es eine Geste, die bedeuten sollte „Schon gut! Das macht nichts!“ Schuch, weiter im Flüsterton, erklärte, es nehme ihn zu sehr mit, das Ganze, denn er kenne ja seine Spezies, diese Lumpazi, wisse, wo sie wieder drüberweghuschten, anstatt „cantilene“ zu spielen, sich anzustrengen, einen schönen Ton zu singen. So eine Oper nähmen sie nicht ernst, sie dächten, sie fiedelten irgendeine Liedbegleitung, die Sänger würden’s nachher schon herausreißen, dabei wäre gerade der Wagner das reinste Sinfoniekonzert. Hunderte Male habe er ihnen das eingehämmert. Doch kaum überlasse er sein Pult einem anderen, wie dem Kutzschbach, der zwar ein braver Junge sei, aber sich gegen diese Bagage nicht durchsetzen könne, schon zöge der alte Schlendrian wieder ein; aber er werde sie schon wieder bei den Ohren kriegen, diese Bazi, ihn könnten sie nicht täuschen, die Schlawiner, denn er höre alles, jedes einzelne Tönlein, jedes nicht gespielte Vibrato, wo das Publikum in friedlichem Lauschen versinke, nähme er die Unarten wahr wie eine Katze das freche Kichern einer entkommenen Maus … – der Kapellmeister brach seine Rede abrupt ab, setzte sich wieder in die alte Position, schnaufte indes so laut, dass seine Frau besorgt zu ihm und May herüberblickte. Nach einer Weile, der erste Akt ging seinem Ende zu, schien Schuch es nicht mehr auszuhalten. Wieder zischte er erst, schnaufte, prustete, wandte sich dann aufs Neue zu seinem Nachbarn May. Er nehme nichts zurück, flüsterte er, auch nichts, was den Lohengrin und den von Bary betreffe, der sei heute außerordentlich schwach, die Stimme kippe bei den Höhen weg und in den Tiefen stünde er kurz vor der Tonlosigkeit. Es sei eine Schande. Ob er, May, dies nicht sogar als Laie höre?
    Oh Laie! unterbrach er sich. Was sag ich da!
    Er wisse natürlich, fuhr er fort, wisse von seiner, Mays, musikalischer Versiertheit, wo er doch schon fast ein Kirchenmusiker sei (hier schmunzelte Schuch),

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