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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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Tagesablauf, einen anderen Lebensrhythmus hat und vollkommen andere Gedanken, sie glauben immer, man wäre derselbe Dummkopf wie sie selber, und was sie störe, das müsse auch allen anderen zuwider sein. Wegen dieser Fahne, also. Bah!
    Er hat sie ja gar nicht heraushängen wollen, nur die Uralte, die Wilhelmine Beibler, jammerte, krakelte, wenigstens zu Kaisers Geburtstag soll man seine Verbundenheit durch diese Flagge zeigen, wenn schon in diesem Hause der Sedantag, wo ihr Bruder Max fürs Vaterland gefallen sei, nicht gefeiert werde, so müsse doch jetzt wenigstens das Kaiserjubileum gewürdigt werden. Klara! Also bitte Klara! Kümmre dich drum. Und Klara hat dann vorgeschlagen, hängen wir sie hinaus, die Schwarz-Weiß-Rote, aber nur zur Seite, in den Garten. Am Balkon auf der Straßenseite will es Karl nicht. Also war sie dorthinaus gehangen worden, zur Gartenseite, zu den Bäumen und zum Nachbarn hin.
    In Gottes Namen, Kind, antwortet May, er ist in höchstem Grade genervt, nimm die Fahne herein. Wir verzichten dann eben auf jede Beflaggung. Punktum. Sag das der Herrin. Stell die Fahne in dem kleinen Kämmerchen unter der Treppe ab, aber schön zusammengerollt, ohne Falten, versteht sich. An meinen Balkon hänge ich mir das deutsche Staatssymbol jedenfalls nicht, trotz aller Treue, die ich dem Kaiser schulde, sagt er, und auch trotz seines Feiertages nicht. An die Brüstung meines Balkons gehören in Zukunft ganz andere Fahnen, zum Beispiel eine Northern Cheyenne zum Beispiel, eine Oka Mohawk, eine United Sioux, und zwar dann, wenn diese roten Völker einst anerkannt und im vollen Besitz ihrer Rechte sein werden, und natürlich selbstredend die grün-weiß-rote Flagge mit dem schwerthaltenden goldenen Löwen des Padischahs sowie all die anderen Flaggen aus der Welt, Fahnen von meinen Reisen und den Völkern, die ich besucht habe, selbstverständlich. Basta.
    May macht eine Bewegung mit der Hand, einem großen Herrscher gleich, eine Bewegung, die besagt, die Unterredung sei beendet.
    Schick mir doch bitte die Gnädige, wenn du sie siehst, mal rauf zu mir. Es hat keine Eile. Das Mädchen knickst. Danke, mein Kind. Die Tür schließt sich.
    May, wieder allein, seufzt. Wie soll er nun hinüberfinden in seinen Gedankenturm, wo all die schönen Dinge aufgestapelt warten, die er braucht, um sie in den wichtigen Brief an seinen Verleger zu packen. Er hat sich vorgenommen, den Opernbesuch von vorgestern noch einmal Revue passieren zu lassen, denn es gab da eine Pausenunterhaltung mit seinem Freund, dem Kapellmeister Ernst von Schuch, die er noch einmal, Wort für Wort, erinnern muss. Man hatte gemeinsam in Schuchs Loge gesessen, der herrlichen Wagner’schen Musik gelauscht – wie lange ist es her gewesen, dass er im „Lohengrin“ war – jedenfalls hat er sich mit dem Schuch ausgetauscht, freundschaftlich, jovial, Schuch, mit kleinen witzigen Anmerkungen, wie es seine Art ist, und dann hatten sie, behaglich in der Pause, auf dem Gang zu den Logen, bei einer Zigarre ein längeres Gespräch geführt, und er erinnert sich, es hatte etwas darin gelegen in diesem Gespräch, was ihm jetzt für seine Mitteilungen an Fehsenfeld äußerst wichtig erscheint. Ja, ein äußerst bemerkenswerter Gedanke war in dem Gespräch aufgekommen. Bedeutsam für seine ganze weitere Arbeit. Wie war das noch?? Er hat etwas gesagt, Schuch hat geantwortet, und dann fielen diese Worte, aber … Fatal, es will ihm nicht einfallen. Eine Weile quält er sich, die rechte Erinnerung aber will ihm nicht herbeikommen.
    Ach, zum Teufel, sagt sich May, in seinem Arbeitssessel lehnend, es wird am besten sein, wenn er von vorn beginnt, dann wird er sich vollständig erinnern. Dann wird es ihm bestimmt einfallen, Wort für Wort. So ist es immer gewesen. Von vorn beginnen. Jawohl. Zuerst aber – eine Zigarre. Er muss rauchen dabei. Wenn der Rauch sich kräuselnd nach oben steigt, wenn der Zigarrenduft das Zimmer füllt, dann kommen die Erinnerungen wie von selbst. Also. Mit Bedacht und einer gewissen Vorfreude nimmt er sich eine von den rehbraunen Brasilianern aus dem Kistchen, das auf seinem Schreibtisch steht. Er kappt die Spitze, wärmt mit der Streichholzflamme den ganzen spindelförmigen Zigarrenkörper, brennt sich dann die Zigarre an, zieht daran, pafft, lehnt sich zurück, pafft, ein Mal, zwei Mal, atmet den Rauch ein … aaooh, oouuhh, uuhh.
    Also Montagabend. Zwei Tage vor dem heutigen Kaisergeburtstag. Auf dem Theaterplatz sammelten sich Gruppen

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