Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
Vom Netzwerk:
Generalmusikdirektor“ außerordentlich stolz. Obwohl sonst volkstümlich und ein Mann einfacher Wesensart, wie er von sich sagte, ehrte ihn dieser Titel ungemein und er hatte ihn, sofort nach der Verleihung durch den Generaldirektor und Kammerherrn Graf von Seebach, in Form eines glänzenden Messingschildes an der Tür seines Opernbüros, auf allen Visitenkarten und Briefköpfen, an der Pforte zu seiner privaten Villa anbringen lassen.
    Ja, also, er habe sich Folgendes überlegt, fuhr der Kapellmeister immer noch lächelnd fort, und, wenn er, sein lieber „Shatterhand“ gestatte, würde er ihm gerne diese Überlegungen mitteilen. Jetzt hier, in der Oper, seiner Höhle, seinem Wigwam …
    Bitte, mein Lieber, ich höre, sagte May und tat einen tiefen Zug aus seiner Zigarre.
    Wenige, mein lieber Freund, sagte Schuch, wenige haben mehr gelogen und die Welt raffinierter mystifiziert als Sie, aber gleichzeitig gibt es auch nur wenige, die besser und profunder die Wahrheit gesagt haben.
    Oh, das bedarf in der Tat einer Erklärung. May lehnte sich zurück, schaute zu Klara, die mit Frau Schuch Arm in Arm auf dem roten Teppichbelag wandelte, die Damen schienen in ihr Gespräch vertieft und sehr angeregt.
    Ja, lieber May, Ihre Maskenspiele, die Irreführungen der Leserschaft zählen nach Divisionen, nach ganzen Armeen. Noch ehe man ein Buch von Ihnen aufschlägt, es richtig zu lesen beginnt, springt einen schon vom Titelbild oder den ersten Zeilen die große Verwirrung an, denn der Held, in welcher Gestalt er auch immer auftritt, ist immer der Autor. Er ist es, aber er ist es zugleich auch nicht. Er zeigt sich in vielerlei Gestalt, und man möchte glauben, nur im Pseudonym, in der Falschmeldung fühlt sich dieser Autor sicher. Einmal maskiert er sich als Doktor der Medizin, dann als Geologe, als Paläontologe, als Sprachforscher, am liebsten jedoch als für ein unseren deutschen Zungen ungewohnter Westmann mit dem Adjektiv „Old“, der ein Inbegriff von Fairness und unglaublichen körperlichen Fähigkeiten ist. Setzen Sie ein Datum, mein Lieber, dann kann man wetten, es stimmt nicht. Vor allem, was die Reisen des Helden betreffen. Kreuz und quer über den Planeten führt seine Spur, und doch keimt in einem der Verdacht – er flunkert. Das alles kann nicht stimmen. Sie legen Spuren, mein Lieber, und doch sind sie alle falsch. Die Abenteuer, bunt und wild, allesamt gelogen. Und doch, mein Lieber, wenn Sie glauben, das schreckt ab, so irren Sie – im Gegenteil, das macht Sie für mich umso sympathischer. Denn ein Schriftsteller muss lügen können, wenn er uns den Spiegel vorhalten will. So wie wir Musiker uns verstellen müssen, Gefühl zeigen, Tränen und Lachen erzeugend, um die Menschen zum wahren Geist der Musik zu führen.
    Wagner wählte die Sage, die Mystik und das Pathos. Alle Kunst ist Übertreibung und Verstellung. Nur auf diese Weise können wir den Spiegel halten, der den Menschen die wahre Welt zeigen soll. Man muss der Wahrheit ein Gewand überstreifen, nur dann wird man sie einlassen … so wie eine bittere Pille nur mit einem süßen Getränk zu schlucken ist. Die Verschleierung der Wahrheit, ihre Verkleidung und nicht ihre Leugnung, das ist die Aufgabe aller Kunst. Ja, wir haben die Aufgabe der Wahrheitsübermittlung, und je geschickter und raffinierter wir das tun, desto erfolgreicher sind wir, mein Freund.
    Zu Ihren Büchern zurück: Am allersympathischsten ist an ihnen, wenn man das eben Gesagte bedenkt, dass in ihnen eben, trotz aller Verschleierung, trotz aller Mystifizierung und der offenen Lügen, eine bekennerische Wahrheit über Sie selbst zu finden ist, wie sie in anderen Werken der Literatur Schriftsteller kaum über sich geschrieben haben. Mit dem Mittel der Maske, der Übertreibung, des schrillsten Humors sagen Sie der menschlichen Schwachheit den Kampf an, haben Sie keine Scheu, eigene Lächerlichkeit zu zeigen. Ich sage, mein Lieber, Sie sagen mit gleicher Vollendung die Wahrheit wie Sie zu lügen verstehen. Manchmal erschrickt man und sagt sich: Das bin ja ich, über den er da schreibt, das ist meine Schwäche, meine Feigheit, meine Schwatzhaftigkeit. Sie haben, das las ich in jenem „Surehand“ wieder, Sie haben genauso viel Mut, ja Frechheit, zur Wahrheit wie zur Lüge – manchen mag das abschrecken, mich nicht.
    May saß schweigend, machte große Augen und staunte.
    Nach ein paar Zügen aus seiner Zigarre entgegnete er: Was Sie da sagen, bester Freund, berührt mich tief. Denn es

Weitere Kostenlose Bücher