Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
ist die Wahrheit über mich. Und es ist die Wahrheit über die Kunst. Erst kürzlich habe ich bei einem Maler, dem Sascha Schneider (vielleicht kennen Sie ihn!?), die gleichen Ansichten gefunden. Ansichten, die aus seinen Bildern unmittelbar zu erkennen sind. Ansichten, aus einem Bilde abzulesen wie von einem Buch. Er wird mir jetzt ein Bild, welches heißt „Der Chodem“, malen, ein Bild, das für jeden zeigt: So ist der May, das ist sein Credo. So spricht er zu uns. Wenn es fertig ist, dieses Bild, dann will ich es Ihnen zeigen, mein lieber General, es wird in meiner Villa hängen.
Ja, und danke, mein Lieber, sagte Schuch, indes, wie der Sachs in den „Meistersingern“ von den Meistern spricht, sage ich, ein wenig abwandelnd –
Verachten S’ mir die Macht der Bilder net!
Für Sie, als einen, der Bücher schreibt, ist es besonders wichtig, wie sie daherkommen, Ihre Bücher, in welchem Gewand sozusagen. Ich würde sogar meinen, das ist wichtiger als der Titel oder die ersten Seiten. Der Mensch denkt mit den Augen und den Ohren! Oh ja, das ist der Mensch: Auge und Ohr! Und seine Sinne sind das Wichtigste für uns Künstler. An die Sinne müssen wir heran. Bedenken Sie das, bester May.
Erst dann kömmt das Herz und e bissel später noch der Verstand.
Ach, der Verstand oder gar die Vernunft. Ratio, wie der Lateiner sagt. Den Verstand, den brauchen wir in der Kunst eigentlich gar net, im Gegenteil, der ist für uns nur hinderlich. Wenn Sie also jetzt einen Maler oder Zeichner haben, der so fühlt wie Sie – zu so einem kann ich Sie nur beglückwünschen. Ich wünschte, ich fände unter unseren Musikern Leute von solchem Format. Aber Sie wissen ja, die Musiker …
Und Schuch brach ab, schüttelte den Kopf.
So was, jetzt ist mir die Zigarre ausgegangen.
Bitte, helfen S’ mer doch. Er wirkte ein wenig hilflos, der berühmte Kapellmeister, klein wie ein Kind vor seiner erloschenen Zigarre, und diese Hilflosigkeit war nach seinen großen Worten beinahe rührend – der Mann interpretierte die Welt und die Kunst, aber vor einem so irdischen Problem wusste er nicht weiter.
May hatte ein Paket Streichhölzer gezückt. Warten Se, das ham mer gleich.
Mit einem Zischen flammte das Hölzchen auf, Schuch sog an der Zigarre, paffte, sog, paffte.
Schauen S’, da raucht sie wieder
. Ein kindliches Lächeln stand ihm im Gesicht.
Auch May, in seinem Arbeitssessel, lächelt jetzt. Behaglich macht er einen tiefen Zug aus seiner Brasilianerin. Ja, Brasilianerin, so nennt er seine Lieblingszigarrensorte manchmal. Am liebsten würde er ihr einen brasilianischen, einen portugiesischen Vornamen geben, aber er raucht täglich drei oder vier Zigarren, auch auf fünf hat er es schon gebracht. Zu viele Namen wären nötig. Also lässt er es. Jaaa, sagt er sich mit einem zufriedenen Lächeln, und der Arbeitssessel knarrt, wie er sich nach hinten biegt, es ist dieses Gespräch nach dem ersten Akt des „Lohengrin“ gewesen, dieses Gespräch auf der rotbespannten Ottomane, das Gespräch mit dem Kapellmeister Schuch bei dessen kubanischen Zigarren und in der wimmelnden Ruhe der Opernpause, bei diesem Gespräch ist ihm der entscheidende Gedanke gekommen, der Gedanke, den er jetzt für seinen Brief an den Verleger Fehsenfeld benutzen wird.
Verachten S’ mir die Bilder net!
hatte Schuch gesagt.
Ja, das ist er, der entscheidende Satz, der den Gedanken birgt, den er schon lange mit der Arbeit seines Freundes Schneider verbindet. Die Malerei und die Schreiberei. Sie müssen, der Sascha und er, sie müssen ihre Werke zu einer einzigen Botschaft vereinen.
Zu einer Himmelsbotschaft!
Die Bilder müssen den Gedanken, den Geist bildlich erstehen lassen, der seine Bücher durchzieht.
Der Geist, der die Bücher durchzieht!
Ha, welch schöner Gedanke!
Die Titelbilder! Sie sind das, was der Leser als Erstes sieht, wenn er den Buchladen betritt. Es muss ihn durchschauern, ergreifen, wach rütteln, seelisch treffen wie ein Pfeil. Die Titelbilder sind das Wichtigste! Oh, wie recht der gute alte Schuch hatte. Die sind wichtiger als jeder Werbetext. Oh, mein lieber Fehsenfeld, das glauben Sie mir, wichtiger als jede noch so gut gewählte Titelzeile. Das muss er begreifen, der liebe Ernst! Denn ein neuer May werde ihm schreiben, ein verwandelter, einer, der vorher wie eine grünborstige Raupe war, die sich schließlich verpuppt und eingesponnen hat und aus der jetzt ein bunter, prächtiger Falter geworden ist. Ein Falter, der Honig saugt und das Bild,
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