Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
mehr nach, die Bücher nähmen Platz weg, nicht mehr treten könne man in der Wohnung. Ich sage, das musst du alles hinnehmen, denn du lebst mit einem Schriftsteller zusammen – und wenn ich, wie jetzt, in einem Manuskript noch zu lesen habe, dann hast du dich, sofern du mit mir in einem Raum bist, still, und zwar mucksmäuschenstill, zu verhalten. Ausführlich erzählte ich dir, warum ich mich im letzten Jahr zu Herzig in sein Gartenrestaurant nach Birnai zurückgezogen habe. „,Weihnacht!‘“ wäre sonst niemals fertig geworden. Und was ist das für ein feines Buch geworden, deine Störungen, dein Hausfrauengewusel war einfach nicht mehr zu ertragen. Als ich die ersten Kapitel, noch in Radebeul, schrieb, kamst du andauernd zu mir herein, in deiner weißen Kittelschürze, irgendeinen Lappen, einen Besen oder Schrubber in der Hand, und du fragtest mich die albernsten Sachen, das Banalste und Gewöhnlichste, und mir blieb damals nicht anderes übrig als zu fliehen. Was sollte ich auch machen, im Kopf wuchs der Roman wie ein Geschwür, blähte sich auf, nahm all mein Denken gefangen und trotzdem bekam ich ihn nicht aufs Papier, weil du in der allerfriedlichsten Annahme warst: Ach, der schreibt doch bloß, da wird er den Stift ja wohl mal aus der Hand legen können, denn meine Fragen betreffen das Leben, nicht irgendeine ausgedachte Geschichte. Erinnerst du dich? Deshalb floh ich nach Binai zu Herzig. Wohin soll ich hier fliehen, wir sind bei den Fehsenfelds zu Gast? Nirgendwohin kann ich, ich muss hier in der Stube sitzen und den Text durchgehen und dabei muss ich mich konzentrieren … sei also bitte still …
Und nach einer kleinen Pause fuhr er fort: Leider kannst du dich hier ja mit keinem Max Welte, Walter Weber oder Johannes März vergnügen und dich zärtlich „Nschotschi“ nennen lassen, hier hast du keine deiner Jungmännerablenkung, hier musst du mit deinem alten Karl vorlieb nehmen und seine Launen ertragen … und May griff nach dem Manuskript auf dem Bett, um darin weiterzulesen. Doch er kam nicht dazu. Emma war schneller, sie riss das Papierbündel an sich und warf es auf eine Truhe. In weinerlichem Diskant schrie sie, und dies war genau der Moment, wo hinter der Holzwand im ehelichen Schlafzimmer die Fehsenfelds ihre Ohren spitzten, Emma heulte auf: Jetzt wirfst du mir die Freundschaft mit diesen drei netten Studenten vor! Das ist typisch. Was sollte ich denn machen, wenn der Gatte sich nicht um mich kümmert? Man braucht Freunde im Leben. Und die drei sind nach meinem Geschmack …
May: Ja, dein Geschmack, meine Liebe, ist bekannt. Wenn wir vor einer Kaserne wohnten, dann hättest du jeden Tag frisches Jungmännerfleisch im Angebot, dann könntest du dich unter die Laterne stellen und irgendein Soldatenliedchen trällern. Und die Kerle kompanieweise durchnehmen, von den Offizieren angefangen bis zum gemeinsten Mannschaftsdienstgrad.
Ha, ha, lachte Emma in ihrer gewöhnlichsten, vulgärsten Art, ha, ha, das sagt mir nun einer, um dessen Männlichkeit es schlecht bestellt ist. Dich wollte ich erleben, als Liebhaber in Uniform. Vielleicht bekämest du irgendeinen Süßhahn ab, ja, dazu reichte es bei dir vielleicht noch. Aber sonst! Erstens, so kleine Uniformen haben die dort gar nicht, auch nicht so kleine Stiefelchen für deine winzigen Füßchen und auch keine Handschuhe für die niedlichen Händchen mit den kurzen Fingerchen. Außerdem: Bei dir findet man ja gar nichts mehr in der Hose. Da ist alles verkümmert. Unbrauchbar geworden. Oh, wenn das die Welt erführe! Old Shatterhand ist so impotent wie ein kastrierter Eunuch beim Großherrn in Konstantinopel. Obwohl, so impotent, hört man, sollen die gar nicht sein. Das aufreibendste Weib kann vor ihm nackend hin und her spazieren – da regt sich bei ihm nichts, ha, ha. Auf den Leib könnte man sich ihm binden lassen und bliebe unversehrt. Oh, mein Gott. Wenn er Holz hacken soll, kommt er nach dem dritten Scheit außer Puste. Und so was nennt sich Old Shatterhand. Ich hoffe nicht, dass dies irgendeiner mal überprüfen will. Nicht mal ein Kaninchen kannst du schlachten, liebes Großmaul, oder mit der Handkante ein dünnes Sperrholzbrettchen zerschlagen. Keinen Nagel in die Wand kann er schlagen, der große Schriftsteller, ohne dass der krumm wird. Vor Pferden hat er Angst, hat noch nie einen Kutschgaul angeschirrt, geschweige denn auf einem Araberhengst gesessen oder etwa einen wilden Mustang zugeritten. Und ob er schießen kann, ich weiß es
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