Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Anblick, sagte er leise. Bedenken Sie, was ich Ihnen offenbarte. Ich habe noch zu keinem Menschen davon gesprochen. Sie sind der Erste. Fehsenfeld nickte und legte seinen Arm um die Schultern des Älteren. Ich werde es bedenken. Versprochen …
In den nächsten beiden Tagen ging man in der Umgebung von St. Märgen viel spazieren. Doch es schien, als habe sich die Atmosphäre zwischen den Ehepaaren abgekühlt. Ja, es war, als herrsche zueinander eine seltsame Scheu. Die Gespräche drehten sich um Banales, Unverfängliches, das Wetter, die Mode, die Politik, ein paar Mal sprach Fehsenfeld von der Jagd, auch vom Angeln oder von Technischem, wie von den neuen Fahrrädern, dann glühte er auf, erregte sich; schließlich der Familienalltag, Paula erzählte Emma von der Erziehung der Mädchen, von ihren Schwierigkeiten, zwischen den beiden so unterschiedlichen Kindern gerecht zu sein, die fünfzehnjährige Eva wäre ja schon wie eine Erwachsene, die Jungen schauten ihr nach; manchmal stockte Paula, wenn das Gespräch abglitt und auf die beiden verstorbenen Söhne kam. Dann glitzerten ihr die Tränen herbei und sie musste ein Taschentuch zücken. Die Männer, zumeist ein paar Schritte vor den Frauen, schwiegen häufiger. Sie rauchten viel, riefen Sirta, die Hündin, spielten mit dem Tier. Aber wie eine unsichtbare Wand stand etwas zwischen ihnen, den beiden Männern und ihren Frauen, von dem beide Seiten wussten, was sie aber nicht anzusprechen wagten. Ganz wie es geschieht, wenn es zwischen befreundeten Paaren, so wie wir es in Goethes „Wahlverwandtschaften“ gelesen haben, zu einer Tabuüberschreitung gekommen ist, indem sich sozusagen über Kreuz Liebesbeziehungen ergeben haben. Natürlich war derartiges zwischen den Mays und den Fehsenfelds nicht vorgekommen. Es war etwas anderes …
Die Mays hatten sich gleich am ersten Abend, kurz nach dem Zubettgehen, in ihrem Gästezimmer heftig und laut gestritten. Und das Ehepaar Fehsenfeld war, weil ihr Schlafzimmer unmittelbar daneben, sozusagen Wand an Wand, lag und weil im Innern der Villa nur dünne Holzwände verbaut worden waren, unfreiwillig Ohrenzeuge dieser Auseinandersetzung geworden. Dieser Umstand lastete nun auf den Fehsenfelds, denn sie hatten ja, im Ehebett liegend, mitanhören müssen, wie ihre Gäste sich in wüsten Beschimpfungen gegeneinander ergingen. Paulas Hauptsorge ist es gewesen, dass die Mädchen nicht etwa aufwachten und ebenfalls zu Zeugen würden; doch die schienen gut geschlafen und nichts mitbekommen zu haben, kleine Fragen und Anspielungen der Eltern am nächsten Morgen hatten das ergeben. Paula atmete auf. Aber auch den Mays lag die Sache auf der Seele, weil sie ahnen konnten, ihr Streit wäre nicht ungehört geblieben. Also hing der Schatten dieses Ehekrieges die folgenden Tage wie eine giftige Wolke über den beiden Paaren, es war, als wäre man gemeinsam Zeuge einer Schreckenstat geworden und keiner wagte den anderen zu erlösen, die Scham der Schuldigen verband sich mit der betroffenen Scheu der Unschuldigen und konnte nur dazu führen, dass man sich in Zukunft, aus Angst vor Wiederholungen, würde hüten müssen, auf engem Raum zusammen zu sein …
Das Ganze hatte sich folgendermaßen zugetragen:
Nach dem Abend im Fehsenfeld’schen Salon bei einer Flasche Badener Wein war man früh zu Bett gegangen. Ein anstrengender Tag lag hinter dem Ehepaar May. Man war in Gundelfingen am Vormittag aufgebrochen und hier herüber nach St. Märgen gefahren. Sie hatten eine Droschke genommen und ein Heidengeld bezahlt. Fast drei Stunden hatte man in der engen Benzindroschke auf holprigen Straßen zugebracht. In Freiburg dann, zum Mittagstisch in den Ratsherrenstuben am Markt, war man unzufrieden gewesen. Es gab nur Schwäbisches oder Schwarzwälder Küche. Nichts Sächsisches oder wenigstens Bayrisches, was Karl gewünscht hätte. Dann, nach der Ankunft in St. Märgen, nichts als Trubel und Unruhe, lange Gespräche zwischen Autor und Verleger, Gesellschaftsspiele mit den Kindern, kein Mittagsschläfchen. Und so war man schon um zehn Uhr nach dem Wein in die Gästestube hinaufgegangen. Man bitte um Nachsicht, hatte Karl May gesagt, sie wären wirklich müde, und morgen wäre auch noch ein Tag. Emma hatte sich noch die Haare gewaschen und mit einiger Mühe eingedreht. Auf Brennschere und andere Hilfsmittel musste sie hier in der Fremde verzichten. Zu Hause half ihr immer eines der Hausmädchen. Hier war sie allein, Karl konnte und wollte ihr nicht
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