Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
der Zeit. Leise und mit belegter Stimme sagt der Verleger, solange sein Name, der des beliebten Karl May, noch unbeschädigt sei, solange seine Gegner ihm nur ein paar oberflächliche Kratzer am Lack zugefügt hätten, solange der Ruhm von seinen wunderbaren Reiseerzählungen noch nicht verblasst sei, so lange könne man sich alles erlauben, auch einen neuen May, so lange würden die Leser ihnen beiden, ihrem May und seinem Verlag, folgen, wohin sie auch gingen, selbst in symbolistische und spiritistische Gefilde. Sobald aber der alte Kredit verbraucht sei und man dahinter käme, es werde die alten, geliebten Erzählungen nicht mehr geben, es folgten keine Fortsetzungen, keine neuen Abenteuer, alles würde jetzt mystisch und symbolistisch, schwer verdaulich und vom katholischen Heilsglauben durchsetzt, dann fürchte er, so leid es ihm tue, obwohl kein Schwarzseher oder etwa eine Kassandra, dann werde es verteufelt schwer und der Erfolg werde ausbleiben …
May, kein bisschen entrüstet, eher heiter, ruft: Sie sehen Gespenster, mein Lieber, das wird niemals eintreten, im Gegenteil, neue Leserkreise werden uns zuströmen, die akademische Jugend, das Bildungsbürgertum, ganz und gar neue Schichten. Allerdings, parallel sollten wir uns offensiv verteidigen, Schriften herausgeben wie „Karl May als Erzieher“ oder „Die Wahrheit über Karl May“ und Ähnliches. Mehr Mut, mein Lieber, Sie sind jung, Sie sollten eine ganz andere Kämpfernatur sein. Eine ganz andere! Sehen Sie, mein Leben ist zum großen Teil Kampf gewesen, ja
mein Kampf
formte mich, mein Lebenskampf, bis ich schließlich der geworden bin, der ich heute bin. Ja, ich wurde, der ich bin, aber erst jetzt wird allen klar werden, wer ich wirklich bin. Fünfundfünfzig Jahre brauchte ich selber, das zu erkennen. Aber es hat sich gelohnt zu warten. Es lohnt sich im Leben immer zu warten, auszuharren auf seine Stunde, auf die Galoschen des Glücks, auf den Augenblick zu vertrauen, zu dem man sagen kann, jetzt hab ich ihn, den eigenen Gipfel, erreicht, den Punkt, wo ich hingehöre, die letztendliche Bestimmung. Und, glauben Sie mir, ich bin auf dem rechten Weg, mein Lieber, ich stehe kurz vor diesem Gipfel. Jawohl. Mit meinen neuen Büchern wird man erkennen, wer dieser May in Wahrheit ist, nicht etwa ein kleiner Abenteuerschreiber, der um der vordergründigen Spannung willen Seite um Seite füllte, nein, sondern ein Heroe der Mystik und der Verklärung, ein Märchenerzähler. Ein Weltautor, mein Lieber, das bin ich drauf und dran zu werden. Und ein Weltautor wird man nicht mit Mord- und Totschlaggeschichten, ein solcher wird man nur, wenn man den Menschen den Weg zurück in die eigene Seele eröffnet, denn dort, nur dort, liegt die wahre Seligkeit des Menschengeschlechts.
Zurück zur Menschenseele!
Das ist es, verehrter Herr Verleger. Das ist mein Credo! Nun also wissen Sie es. Deshalb die neuen Werke …
Fehsenfeld hat während dieser Rede seine Zigarre betrachtet. Das Weiße hat sich weiter in den rehbraunen Körper gefressen, aber sie hält noch, die Asche, sie bröckelt nicht ab.
Man sah dem Verleger nicht an, was er dachte. Die meiste Zeit unbewegt ist seine Miene gewesen. Nur einmal zuckte sein linker Mundwinkel und winzige Lachfältchen zeigten sich um die Augen.
Ich werde Ihnen die Manuskripte dalassen. Dann werden Sie ja sehen.
May war aufgestanden und zum Fenster gegangen. Er wippte auf den Fußspitzen, hatte die Hände auf den Rücken genommen, drehte sich abrupt um und sagte lauter, als man erwartet hätte: Ich weiß, mein Lieber, dass Sie nicht überzeugt sind! Glauben Sie nur nicht, dass ich das nicht weiß. Ich habe Ihnen das angesehen, von der Stirn habe ich Ihnen das abgelesen. Schade. Wirklich schade. Ich dachte, Sie verstünden Ihren Autor besser …
In diesem Augenblick zuckte Fehsenfeld, der vor der glimmenden Zigarre gesessen und gewartet hatte, zusammen. Die Asche war heruntergefallen. Er murmelte einen Fluch, erhob sich mit einem Ruck, trat zu May ans Fenster. Eine Weile schauten die Männer, schweigend nebeneinanderstehend, durch die Scheiben hinaus in den Garten. Drüben am Grundstücksrand standen drei Tannen, unterschiedlich hoch hoben sie sich gegen den Himmel ab. Es war später Nachmittag und die Sonne begann am Horizont zu versinken. Wie die Tannen nun im Gegenlicht, dunkel und von den Sonnenstrahlen umspielt, sich zeigten, sah das Ganze aus wie ein Bild von Caspar David Friedrich. Mays Stimmung wurde milder. Ein schöner
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