Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Extradrucke, keine teuren Grafiken. Vielleicht läuft sich die Sache von alleine tot, vielleicht kommt der Alte von selber dahinter, dass er sich verrannt hat, vielleicht wird ihm von seinen „Himmelsgedanken“ schwindelig, und wir brauchen gar nichts tun. Sei ein rechnender und kühler Kaufmann, Ernst, und kein emotionsgeladener Künstler, rechne und rechne nochmal, und dann rechne ihm vor, was die neue Idee einbringt, oder besser: was er damit verliert; er ist dem Gelde gut, und seine Neue, die Klara, kann nicht genug davon kriegen, und wenn der goldene Strom dünner wird oder mal ganz versiegt, dann wirst du schon sehen, wie er reagiert … am schmal gewordenen Portemonnaie ist noch jeder zur Vernunft gekommen, glaub mir … und jetzt hilf mir, drinnen ein wenig aufzuräumen, bitte, komm ins Haus, wenn die Kinder zurück sind, wollen wir Kaffee trinken und es uns schön machen …
Der einsam wandernde Jäger ist bei der windschiefen Holzhütte angekommen.
Sirta! ruft er den Hund, wir sind da! Komm, lass uns eine Brotzeit nehmen.
Erschöpft von der langen Wanderung, lässt er sich auf der selbst gezimmerten Bank vor der Hütte nieder, packt ein kleines Paket aus, gibt der Hündin ein Stück Wurst. Mit einem langen Blick beschaut der die friedlich stille Landschaft. Summt eine Melodie, nickt. Ja, er wird es machen, wie Paula gestern gesagt, wie er es ihr versprochen und wie er selber schon ein paar Mal überlegt hat: Er wird seinem Autor May einen Brief schreiben, einen langen ruhigen Brief, er wird vernünftig sein und sich inzwischen Erkundigungen einholen und er wird die Sache bedachtsam angehen, er wird es nicht übertreiben, im Gegenteil, er wird ein klein wenig auf die Bremse treten wie bei seinem Horch, wenn es bergab geht.
Ja, so wird er es machen … hier, Sirta, nimm! Und nun Platz! Sirta bleib!
Und auf einmal gleitet ein Lächeln über seine Züge. Zuerst zittert an den Spitzen der Bart, dann zeigen sich Fältchen um die hellen Augen, schließlich bricht aus seinem von rotem Bartgestrüpp umwucherten Mund wie aus einem Höhlenloch ein Lachen, laut und dröhnend, hervor. Ein Lachen, in der Stille ringsum so unvermittelt wie ein Teufelsgelächter. Und wie seltsam, wie lustig auch, der Verleger Fehsenfeld sieht dabei aus wie der Berggeist Rübezahl, von weit drüben aus dem Riesengebirge, ja, wie ein Berggeist, so fühlt er sich sogar, zünftig mit den ledernen Gamaschen, den derben Tiroler Schuhen, der Joppe mit den Hornknöpfen, natürlich mit dem Bergstock, und nur der Drilling zwischen den Knien weist ihn als einen Heutigen, einen Jäger, aus. Ha, ha, ha, ho, ho! Das Fehsenfeld’sche Lachen schallt die Waldschneise hinunter, bricht sich unten am Eck bei den drei Tannen, kommt zurück, die Bracke spitzt die Ohren, hebt die Nase und gibt Laut …
8
Am selbigen Tage, da der Verleger Fehsenfeld an seinem Rückzugsort, dem Lehenhof, unweit von Ehrenstetten, beschlossen hat, in Klausur zu gehen, da er nach Tagen schweren Ringens, nach selbstquälerischen Zweifeln und nach Rücksprache mit seiner Frau Paula endlich willens ist, seinem Autor May einen ausführlichen, ernsten und vernünftigen Brief zu schreiben und zu dessen Vorhaben von neuartigen symbolistisch verklärenden Deckelbildern Stellung zu nehmen; eben an diesem Tag, abends gegen sechs Uhr, empfängt Karl May in seiner Villa Shatterhand in Radebeul bei Dresden jenen Mann, um den sich in diesem Punkte alles dreht – jenen, nach seinen Worten „neuen Michelangelo“, den akademischen Maler Sascha Schneider, seinen Freund, den inzwischen hochgerühmten Künstler, dessen Professur an der Großherzoglichen Kunstakademie in Weimar, nach Max Klingers an maßgeblicher Stelle mehrfach und deutlich geäußerter Befürwortung, nur noch eine Frage von Wochen ist.
Zwei Tage vor diesem Abend hatte Schneider, der persönlich in Begleitung zweier Handwerker erschienen war, von dem Fuhrunternehmer Gotthold Krampe aus Meißen sein Auftragswerk „Die Offenbarung“ 4 , für das ihm May über 3000 Mark
pränumerando
gezahlt hatte, anliefern lassen. Schön und sicher verpackt, in mehrere Lagen Packpapier gewickelt, mit Leinentüchern und Stricken umbunden, als wäre es ein zerbrechliches Porzellanwerk, war das Bild, sperrig und groß, ins Haus bugsiert worden. Schon im Dezember letzten Jahres hatte man besprochen, wo und wie es zu hängen wäre. Ein paar Stunden war beratschlagt worden, man war hin und her gegangen, während einer mit zusammengekniffenen
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