Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
und stimme ich zu, dann ruiniere ich mich und den Verlag, Paula, bitte, bitte …
Und Paula, die Frau, schweigt, wartet ab, beobachtet ihren Mann. Aber der Mann geht tatsächlich nicht. Er setzt sich stattdessen vors Haus auf die morsche Bank und brütet vor sich hin. Er brütet und starrt und murmelt irgendwas. Tatsächlich, der Brief von May hat ihn ganz verwirrt gemacht, brummelt er wieder und wieder in seinen Rotbart. Ja, das ist es. Alles ist ihm durcheinander geraten. Alles ist verquer geworden … wirklich alles. Oh, er weiß nicht mehr weiter … Der Verleger schließt die Augen, kneift sie zu, will nichts mehr sehen.
Die Zeit rückt weiter. Zwei Stunden sind vergangen.
Fehsenfeld hat gesessen und nachgedacht. Oder nicht nachgedacht, nur gedöst. Oder hat er geschlafen? Er weiß es selber nicht …
Auf einmal! Paula, aus dem Haus kommend, rüttelt ihn am Arm, er sitzt noch immer auf der alten, morschen Hofbank. Sie sagt: Ernst, was ist los mit dir? Du sitzt ja immer noch hier, hast dich nicht von der Stelle bewegt, siehst grau und alt aus. Bitte, Ernst, komm zu dir! Hallo, hörst du mich? Die Mädchen sind schmollend abgezogen, als sie erfahren haben, dass du mit ihnen und mit dem Hund nicht spazieren gehen wirst. Eva war richtig böse. So an der Nase lasse sie sich nicht herumführen, auch nicht von ihrem Vater. Erst mache er sie und ihre Schwester auf künftiges Angeln scharf, verspreche, dass man stattdessen ein wenig spazieren gehen werde, und so weiter, alles Mögliche, und dann hocke er sich auf die Hofbank und starre vor sich hin wie ein Verrückter, habe schließlich gar die Augen geschlossen, als ob er eingeschlafen sei oder nichts mehr sehen wolle. Der ganze Tag sei ihr verdorben. Sie überlege, ob sie noch einmal hier heraufkommt … sowieso sei sie zu alt, um noch bei den Eltern …
Der Verleger Fehsenfeld öffnet die Augen. Paula!? Wie war das??? Was hast du gesagt? Was ist los? Waren wir denn nicht spazieren? Habe ich geträumt? Paula, sag, was war denn? Ach, ich muss wohl eingeschlafen sein. Ja, eingeschlafen. So ist es. Verzeih mir …
Und wie aus einem schweren Traum kehrt er zurück in die Wirklichkeit …
Paula setzt sich zu ihrem Mann auf die Bank, greift nach seiner Hand. Sie holt tief Luft.
Ja also, sie habe den Brief von Karl May gelesen …
Und?? Fehsenfeld, jetzt vollkommen wach, ist aufgeregt wie ein Schuljunge. Nun sprich: Was sagst du dazu? Sollte ich ihm nicht gehörig die Meinung sagen und das Ganze für eine Spinnerei, für einen Wahnwitz erklären, welcher den Verlag in schwerstes Wasser bringen kann? Ist doch unerhört von dem Alten, Bewährtes so aufs Spiel zu setzen.
Paula, neben ihrem Mann, schaut ihn von der Seite an. Sie hält noch immer seine Hand. Natürlich sei dies alles ein Wagnis, sagt sie, ein Risiko, aber was sie ihm schon damals bei der Sache mit dem Buchhändler in Gundelfingen geraten habe, das rate sie auch jetzt: Er solle bedenken, was er dem alten Mann trotz allem verdanke. Alles, was er geworden, sei er durch ihn geworden, trotz des Auf und Ab, trotz seiner Verrücktheiten. Er solle ihm dankbar sein, und auch dem lieben Gott solle er danken, ja Gott, auch, wenn Gott ihm, dem Friedrich Ernst Fehsenfeld, ein Fremder sei, er solle Gott danken, dass dieser May sein Wigwam bei ihm, den Fehsenfelds in Freiburg, aufgeschlagen habe …
Sie lacht, wiederholt noch einmal das Wort „Wigwam“, macht eine Pause, sagt: Eine Kuh, die Milch gibt, schlachtet man nicht – sagt eine alte Bauernregel. Und ruhiger, mit langsamer Stimme, betont, fährt sie fort: Schau dir alles erst einmal an, mein lieber, lieber Ernst, hol dir Meinungen ein. Was weißt du denn, wer dieser Sascha Schneider ist? Antworte auf eine Verrücktheit nicht mit einer anderen Verrücktheit. Was hast du gekonnt, wenn er zu einem anderen Verlag läuft? Und, du weißt, die nehmen ihn jetzt überall mit Kusshand. Ach, Ernst, mein Ernst! Du Lieber! Denk an die Mädels. Die Große will studieren, und die Kleine muss noch ein paar Jahre aufs Gymnasium gehen, du hast das Grundstück in St. Märgen gekauft, das Haus in Freiburg ist noch nicht abbezahlt, der Lehenhof hier muss renoviert werden, du weißt, wir brauchen elektrischen Strom, die Fahrstraße hier herauf ist auch nicht die Beste. Denk an all diese Dinge, bitte, bitte, bitte. Noch ist der May eine sichere Bank. Und,wenn du den Schneider ins Programm nimmst, dann sei eben vorsichtig. Keine großen Auflagen, nicht über 500 Stück, keine
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