Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
„deutscher Michelangelo“ zu titulieren. „Deutscher Michelangelo“! Nein, so was. Jetzt hat sein lieber May völlig den Boden unter den Füßen verloren. Ist er vielleicht sogar verrückt geworden? Übergeschnappt? Nicht mehr bei Sinnen? „Deutscher Michelangelo“ … ha, ha, ha.
Ja, er werde ihm schreiben, seinem May, gleich morgen und er werde ihm diesen ganzen Unsinn ausreden. Er solle sich diesen Schneider aus dem Kopf schlagen, werde er schreiben. Nein, mit ihm, Friedrich Ernst Fehsenfeld, werde es keine Deckelveränderungen geben. Basta! Nein und nochmals nein! Und der Verleger schlägt mit der Faust gegen das Wandregal, dass die Zinnkrüge und Steinguttöpfe scheppern. Die Hündin zu seinen Füßen bellt. Oh, der Herr wird lebendig! Das ist nach ihrem Geschmack! Endlich hört die Langeweile auf. Fehsenfeld indes kniet sich hin, nimmt den Kopf seiner lieben Sirta zwischen die Hände, ach, diese Bernsteinaugen und die weichen Schlappohren, er küsst das Tier auf die Nase und sagt:
Also, Sirta, hör nun gut zu! Morgen kommt das Frauchen mit den Mädchen hier herauf. Ja, die Mädchen, deine Spielgefährten. Freust du dich? Und das Frauchen, hörst du! Unser liebes Frauchen! Die werden wir befragen, und dann werde ich meinem May den Brief schreiben, den er sich nicht hinter den Spiegel stecken wird. Es ist wirklich Zeit, dass ich einmal ein Machtwort spreche. Wir können uns schließlich nicht andauend auf der Nase herumtanzen lassen, nicht wahr Sirta? Unsere ganze Arbeit mit einem Schlag in Frage stellen – das können wir uns nicht gefallen lassen. Das siehst du doch auch so?
Die Hündin befreit ihren Kopf, schüttelt ihn, sie muss niesen. Ja, nies nur, das ist recht. Also bis morgen warten wir noch, Sirta. Ich werde meiner Paula diesen verfluchten Brief zu lesen geben, und der Verleger nimmt das Papier und fuchtelt dem Tier vor der Nase herum, hier, diesen verfluchten Brief! Ach, wenn es doch nur schon Sommer wäre, da könnte ich mit der Dora und der Eva auf Forellen angeln gehen. Was sagst du dazu? Und du kämest natürlich mit, wie im letzten Jahr, mein Liebling! Weißt du noch?
Die Hündin hält den Kopf schräg und bellt freudig. Das hat sie verstanden: Es geht auf Forellen, mit den Mädchen. Forellen! Wie wunderbar! Sirta wedelt mit dem Schwanz und gibt noch einen Freudenlaut ab, dann läuft sie zur Tür, ob man nicht gleich hinaus könne …? Aber ihr Herr macht keine Anstalten mitzukommen, stattdessen hat er sich wieder an den Tisch gesetzt, um in verschiedenen Papieren zu lesen. Sie weiß nicht, es geht um ein paar Rechnungen, die er prüfen muss. Schade, die Hündin knurrt und kriecht unter den Tisch. Versteh einer die Menschen …
Am nächsten Tag ist der Verleger früh auf. Unruhig läuft er umher. Paula kommt! Die Kinder kommen! Mit einer Droschke werden sie sich hier heraufkutschieren lassen. Er wollte sie mit dem Horch abholen, aber Paula hat gesagt, er solle nur oben auf dem Hof bleiben, sie kämen schon allein zurecht. Was wird Paula nun zu seinem Entschluss sagen, dem quirligen May die neueste Spinnerei abzulehnen, hart zu bleiben, endlich einmal hart zu bleiben? Was wird sie zu dem Brief von May sagen?
Um sich abzulenken, sieht er nach den Utensilien für die kommende Angelpartie, legt ein wenig abwesend und wie in Gedanken sogar alles bereit, als ob es tatsächlich losginge. Die Hündin, von solchen Vorbereitungen angetan, springt vor dem Tor herum, am liebsten würde sie gleich zum Forellenwasser hinunterhetzen. Nein, Sirta! Heute nicht. Es muss erst wärmer werden. Fehsenfeld ermahnt das Tier, legt sie schließlich, weil sie sich nicht beruhigen will, an die lange Hofkette. Sirta winselt, zerrt hin und her, jault zum Herzerbarmen. Er beruhigt das Tier. Es nütze nichts, eine Zeit solle sie noch Geduld haben. Dann, ja dann …
Auf einmal ein Hupen. Die Droschke fährt vor.
Die Mädchen klettern heraus und jagen auf den Vater zu. Eva, die Zwanzigjährige, hat beinahe seine Körpergröße erreicht. Ein hübsches großes Mädchen mit rötlichem Haar und den Zügen der Mutter. Fehsenfeld ist stolz auf seine Töchter. Trotzdem fällt ihn sofort Wehmut an, denn er muss an seinen Ältesten denken. Der wäre jetzt dreiundzwanzig. Er sieht ihn in der Uniform eines Gardeleutnants. Ach, wie schön wäre es, wenn er zu den Mädchen noch die Söhne hätte.
Man begrüßt sich, küsst und umarmt sich. Na, wie war es alleine hier oben? Habt ihr mir meinen Lieblingskuchen mitgebracht? Eva,
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