Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
mein Gott, und hier noch ein Lasso und ein arabischer Sattel …
Kommen Sie, sagte May zu seinem Gast, wir wollen hinaus auf die Veranda gehen, dort in den Korbsesseln sitze ich oft. Mal in diesem, mal in jenem, am häufigsten, Sie werden es sehen, in dem linken, der schon ziemlich durchgesessen. Manchmal sogar, um die Mahlzeiten an dem Korbtischlein einzunehmen, viel lieber aber, um zu rauchen und meinen Gedanken nachzuhängen. So eine Veranda ist eine schöne Erfindung, ich möchte sie nicht missen. Kaum sitze ich dort, beginne ich zu träumen und die wunderlichsten Gedanken kommen mir.
Klara, sei doch so lieb und stell uns eine Lampe hin, du weißt schon welche, und bring die Zigarrenkiste und den Kognak.
Behagliches Licht breitete sich bald in der Veranda aus, durch die Verglasung und zahlreiche Zimmerpflanzen, durch verschiedene Holzschnitzereien, die auf dem umlaufenden Bord standen, durch die warme gelbliche Beleuchtung erinnerte alles ein wenig an das heimatliche Erzgebirge Mays, und vielleicht war es gerade diese Atmosphäre, die sein Unterbewusstes aufnahm, die eine ferne Erinnerung erzeugte, der Urgrund, weshalb er so gerne hier saß. Schneider, der einen Sinn für Stimmungen hatte und dem solche Vermutung ankam, fragte seinen Gastgeber im Hinsetzen danach, May aber schüttelte den Kopf, nein, nein, mein Lieber, sagte er, das glaube er nicht, das liebe Erzgebirge, ach, nein, das sei immer in seinem Herzen, da müsse er nichts herrichten, vielmehr sei es die scheinbare Abgeschiedenheit, welche die Veranda vermittle, die Idylle eines Gartens vielleicht, das Andersartige zum übrigen Haus, ach, er denke darüber nicht weiter nach, er setze sich einfach in seinen Korbstuhl und falle in eine sanfte Stimmung, spüre den Frieden auf sich einströmen, das Behagliche, ach, er wisse es nicht …
Die Frau brachte das Zigarrenkistchen, den Kognak, zwei Gläser und setzte sich etwas abseits. Sie wollte nicht stören, sich nicht aufdrängen, nur bereit sein, für alle Fälle bereit sein.
May nickte zufrieden, griff nach den Zigarren, hielt dem Gast die geöffnete Schachtel hin, zeigte mit dem Finger auf den Inhalt. Hier, Sie sehen es an der Binde, sind die Brasilianer, hier mit der gelben Banderole die Virginias, und darunter, er klappte einen verborgenen Boden auf, und hier mit dem goldroten Etikett die Kubanischen. Wählen Sie, was Sie wollen. Ich weiß manchmal selber nicht, welche ich wählen soll. Mal steht mir der Sinn nach den Brasilianern, dann wieder möchte ich die Kubaner, ja sogar nach einer deutschen Zigarre, zum Beispiel einer „Christo“ aus Lobenstein in Thüringen gelüstet es mich gelegentlich. Natürlich, das werden Sie verstehen, favorisiere ich die Brasilianer. Sie können sich denken, warum.
Lesen Sie in meinen südamerikanischen Erzählungen nach …
May, auf einmal schlau lächelnd wie ein listiger Greis, setzte sich kerzengerade hin und fiel in einen dozierenden Ton: Bekanntlich produziere das größte Land Südamerikas Zigarren seit den 1660er-Jahren. Zwei Regionen seien es, die beim Tabakanbau und der Zigarrenherstellung besonders bekannt seien. Beide lägen im Nordosten des Landes und er habe beide in den Achtzigerjahren bereist. Die eine hieße
Reconcavo
und läge im Bundesstaat Bahia, die andere Region nenne sich
Arapiraca
und befinde sich im Bundesstaat Alogoas. Zu den bedeutsamsten Tabakanbaugebieten zählten
Mata Sul, Mata Norte
und insbesondere
Mata Fina
, die sich alle in der Region
Reconcavo
befänden. Das Zentrum des brasilianischen Tabakanbaus aber bilde das Gebiet
Mata Fina
. Die leicht sandigen Böden in der herrlichen Bucht von Bahia genoss üppigste Regenfälle und eine angenehme Durchschnittstemperatur von 77° Fahrenheit. Ideale Voraussetzung also für den Anbau von Zigarrentabak. In der Region
Arapiraca
herrschten ähnliche Bedingungen. Allerdings würden die Tabakblätter dort – im Gegensatz zu
Reconcavo
– einzeln gepflückt und Blatt für Blatt getrocknet. Dieses sorgfältige Vorgehen ermöglichte eine geradezu vorbildliche Deckblattproduktion. Unter den relevanten Marken befinde sich natürlich die bei uns bekannte
Dannemann
. Das sei klar. Auch er habe sie in seinem Kistchen! Hier ein Prachtexemplar! Und May hielt eine solche Zigarre hoch.
Begeistert fuhr er fort: Doch die Krönung ist die
Menendez
!
Mit spitzen Fingern, vorsichtig, beinahe zärtlich, nahm er eine andere Zigarre heraus. Hier, vergleichen Sie. May reichte dem verdutzten Schneider jetzt die
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