Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
sitz gerade, du sollst den Ellenbogen nicht aufstützen. Schlürf nicht wie ein Bauer
… Es gehört nicht zu den Gewohnheiten des Malers, auf große Gesellschaften zu gehen und mit Vornehmen zu Tisch zu sitzen, ja, er meidet solche Empfänge regelmäßig, er ist ein Mann von einfachen, groben und volkstümlichen Sitten, und er ist stolz darauf.
Er schaut auf. Sein Blick begegnet dem der Frau des Hauses, Klara, und für einen winzigen Augenblick glaubt er, in ihren Augen jenes Prüfende und jene Strenge gesehen zu haben, an die er eben in seinen Erinnerungen gedacht hat. Wie unter einer Maulschelle senkt er sofort den Kopf, löffelt weiter, mit großer Konzentration und Langsamkeit, doch er fühlt wie eine große Röte, bis zu den Ohren, ihn überzieht.
Es schmeckt Ihnen doch? fragt Klara, und Schneider nickt stumm, seine Augen bohren sich in die Suppe, als ob sie den Tellergrund suchten. Das freut die Frau des Hauses, sagt Klara freundlich und lacht leise. Natürlich hat sie das Essen nicht selber zubereitet, im Gegensatz zu Karls erster, Emma, ist sie eine nur mäßige Köchin. Die Essenszubereitung ist ihr zu profan, zu aufwendig, sie hat keine Zeit dafür, schließlich muss sie sich um alles kümmern, was in diesem Hause und mit ihrem Mann vorgeht, sie ist sein Impresario, seine Sekretärin, seine Beraterin, sein Mädchen für alles, nein, das Essen ist nicht ihre Sache, dafür hat sie qualifizierte Kräfte, wie jetzt die neue Köchin aus Coswig, die Friedlinde Korbmesser. Die stellt sich ganz gut an, und das Essen schmeckt, auch diese Wildsuppe hier, und der Hasenbraten wird, so viel konnte sie sehen, ebenfalls vorzüglich sein.
May, eine Leinenserviette vor der Hemdbrust, meldet sich, oh, die Suppe sei in der Tat vorzüglich. Ein kleiner Suppentropfen ist ihm auf das Knebelbärtchen unter der Unterlippe geraten, er merkt davon nichts, spricht, den Löffel beiseitelegend, weiter. Wissen Sie, mein Bester, sagt er, und man merkt, durch das Essen ist er lockerer, familiärer geworden, alles vom Wild oder eben ein Hasenbraten ist für mich von besonderer Ergötzlichkeit. Es fördert meine Lebensgeister. Was
möchen
denn Sie am liebsten, mein Lieber? Wenn Sie wieder einmal zu uns kommen, wird es natürlich unbedingt genau dieses geben, außer Sie wünschen eine Elefantenroulade, Zebragulasch oder ein Nilpferdsteak, ha, ha, ha – das Suppentröpfchen, vom Lachen erschüttert, hat sich gelöst und ist auf die Serviette gesprungen, wo es von Frau Klara sogleich entdeckt wird, die sich, mit einem „Oh Gott, verzeihen Sie!“ an den Gast wendet, aufspringt, ihrem Mann die Serviette abnimmt, das Bärtchen abtupft und ihm eine neues, blütenweißes und sogar plissiertes Tuch umbindet. May lässt das alles mit einem verlegenen, zugleich gnädigen Lächeln geschehen, wie ein Monarch, dem ein Malheur passiert ist und dem nun von seinem Haushofmeister geholfen wird. Er zuckt mit den Achseln, sagt zu seiner Frau aufblickend „Danke, mein Herzle!“ – wo waren wir stehen geblieben? Ja, also, was ist denn nun Ihr Lieblingsgericht, lieber Schneider?
Der Maler, eben fertig mit der Suppenmahlzeit, legt den Löffel beiseite, zieht die Serviette vom Kragen, denn auch er hatte eine verwendet, räuspert sich. Nun, ja, mmh, er wisse eigentlich nicht so recht. Von seiner Schwester Lilly werde er nicht sehr verwöhnt. Die liebe nun einmal die russische Küche, wohl auch, weil sie die ganz gut kenne und beherrsche, also, ja, mmh, vielleicht ein Fischgericht – gebackenen Stör oder Hecht oder einen in Dill und Knoblauch gesottenen Lachs. Klara verzieht das Gesicht. Oh, Gott, nein, Fisch mag sie nicht. Die vielen Gräten und der Geruch. Nein, Fisch mag sie wirklich nicht, nur im äußersten Notfall. Doch natürlich schweigt sie dem Gast gegenüber, sammelt die Löffel ein, stellt die leeren Teller zusammen, ruft nach dem Mädchen …
Also, du hast gehört, Klara, ruft May fröhlich, das nächste Mal kommt bei uns Fisch auf den Tisch. Vielleicht ein Hecht! Der ist bei uns heimisch und sozusagen ein Kompromiss.
Gut. Er macht eine Pause, reißt sich die Serviette von der Brust. Nun, wo bleibt der Hauptgang? Ich habe einen
Bärentöterhunger
! Ha, ha, ha …
Das Mädchen erscheint, knickst, räumt die leeren Teller ab und kommt Sekunden später mit dem Hasen herein. Aahh, May macht begehrliche Augen. Klara, einen Schenkel bekommt der Hausherr, nicht wahr?! Der Braten liegt im Ganzen auf einem silbernen Bratenteller, er dampft und
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