Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
weiße Schürze umgebunden und ein Papierdiadem ins Haar gesteckt, bescheiden knickst sie und beginnt zu servieren, während Klara mit stillem Blick die Gläser füllt. May, an der Stirnseite, thront wie der Großherr, lässt sich bedienen, wartet in majestätischer Ruhe, um sich dann, nachdem alles Notwendige aufgetragen, das Silberbesteck wie im Hotel verteilt ist, die prächtigen Gläser mit perlendem Sekt gefüllt und die Suppenteller bereit gestellt sind, für einen Toast zu erheben. Auch wenn sie nur zu Dritt seien … es klingt leise, fast beiläufig wie eine Entschuldigung … Dennoch, heute sei ein besonderer Tag, sagt er sofort danach mit feierlicher und für den Raum ein wenig zu lauter Stimme, denn heute erst, mit diesem Tag trete er, vereint mit seinem Freunde Schneider, vor seine eigentliche Aufgabe, alles Bisherige sei nur ein Vorspiel gewesen, ein „le Prelude“ sozusagen, wie es der große Franz Liszt komponiert habe, nun aber, mit den Werken Schneiders, seines Freundes, werde vor aller Augen sofort sichtbar, was seines Wollens und Strebens sei. Wie sein Freund, der Maler, habe er stets eine Hinwendung zum Symbolismus gehabt, und zwar nicht zum religiösen, sondern seine Reiseerzählungen sollten etwas Symbolisches haben, etwas Bildliches, sie sollten zeigen, was nicht an der Oberfläche liege, nun, da er in der glücklichen Lage sei, seinen Worten auch Bilder folgen zu lassen, und was für Bilder!, jetzt werden alle Menschen sofort, allein schon durch das Anschauen seiner Werke begreifen, wer dieser May in Wahrheit sei. Schon im frühen Kindesalter, als er blind durch die Welt gestolpert, da habe er durch seine Großmutter, die gute Seele, welche er in
Marah Durimeh
nunmehr auferstehen lasse, den Wert des Inneren erkannt, als sie, die liebe gütige Frau, ihm Märchen und Gleichnisse, die Bibel und Fabeln vorgelesen habe, da sei ihm inne geworden, was die Welt im Innersten zusammenhalte. Damals schon sei der Grundstein gelegt worden, doch dann habe er, obwohl sehend, in Blindheit seine Arbeit gemacht, habe Oberflächliches geschaffen, in Blindwütigkeit, wie man sagen könne, gearbeitet, Tausende Seiten geschrieben, als ein armer Sklave des Broterwerbs, und doch auch immer ahnend, dass das Eigentliche noch kommen werde, und tastend habe er dann mit der Zeit begonnen, endlich der zu werden, der er in Wahrheit sei, habe mit ersten Büchern wie „Am Jenseits“ so wie jetzt mit „Friede auf Erden“ sacht den vorbestimmten Weg beschritten, immer fester und fester auftretend; und jetzt erst, durch die Freundschaft mit seinem Geistesbruder, dem genialen Maler und Menschen Sascha Schneider, habe er seine wahre Mission sozusagen im Bilde erkannt und nun werde sie auch sichtbar für alle anderen. Ja, er sei von Gott geschaffen worden, das wisse er, um das menschliche Wissen zum Glauben emporzuführen, denn alle wahre Kunst sei berufen, zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, zwischen Wissenschaft und Religion zu vermitteln …
In diesem Sinne, lieber Freund, lassen Sie uns das Glas erheben und darauf trinken – auf ewige Liebe und Freundschaft, auf die Kunst und auf den Glauben!
May, ganz feierlich, mit verschleierten, feuchten Augen, hebt den Arm mit dem Glas.
Sie trinken, auch mit Klara wird angestoßen, dann umarmen sich die Männer, küssen sich auf die Wangen, ein Mal sogar auf den Mund. Der Maler Schneider, von der Feierlichkeit angesteckt, wirkt gerührt, er überlegt, ob er auch etwas sagen soll, aber er lässt es. Was soll er nach diesen Worten noch entgegnen, es könnten nur Variationen sein, und ein Redner ist er nie gewesen. So nickt er nur, ernst und zustimmend, nimmt einen kleinen Schluck aus dem schweren kristallenen Kelch, setzt sich auf seinen Polsterstuhl nieder.
Klara meldet sich: Nun wollen wir aber den leiblichen Freuden zusprechen. Sie gibt dem Mädchen ein Zeichen, das hinter der geöffneten Tür, still und bescheiden, jedoch die Herrin fest im Blick, gewartet hat. Die Wildsuppe wird in einer Terrine aufgetragen, bauchig glänzt das echte Meißner Porzellan, die zierliche Silberkelle taucht in die heiße cremige Flüssigkeit, die Teller werden gefüllt. Es riecht nach Waldpilzen und dem herben Wildaroma. In einem Flechtkörbchen frisches Weißbrot. Schneider senkt seinen Löffel in die Suppe. Auf einmal fühlt er sich beobachtet, und er denkt an den gestrengen Vater in Petersburg, wie der jede seiner Bewegungen bei Tisch mit Argusaugen verfolgte, ihn maßregelte:
Alexander,
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