Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
sie Sachen schildere, die eben nur in Russland zugingen. Man werde an die Schilderungen jener seltsamen mystischen Sektierer erinnert, wie sie sich bei Dostojewski und auch hin und wieder bei Turgenjew fänden …
Ja, ich gebe es zu, meine Kunst ist russisch, aber sie weist viel tiefer ins Innere, da, wo schweifende Mongolenhorden asiatische Einflüsse vermittelten. Ja, es ist so: Diesem slawischen Element entspringt bei mir ein Pathos, das man fälschlich mit dem Theaterpathos überwundener Kunststandpunkte verwechselt hat. Und aus diesem slawischen Element erklärt sich fernerhin ein Hauptcharakteristikum, in dem wieder ein Widerspruch liegt oder wenigstens eine vorläufige Einseitigkeit, die man mir vorwirft: Es sei das asketisch Männliche meiner Kunst auffallend, sagt man. Man sehe diese Männergestalten, diese barbarische Urwüchsigkeit von
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, wie sie sich zum Beispiel in einem dornenumwundenen Judas Ischariot offenbare, einer Gestalt, wie sie eben nur das chaotische Empfinden eines Russen schaffen könne. Aber wenn ich von einem Widerspruch rede, den man bei mir zu sehen meint, dann läge er darin, sagt man, dass ich buchstäblich nichts als Männer gestalte, denn es fände sich auf meinen sämtlichen Kartons nur ein Mal ein einziges Weib, nämlich auf „Christus in der Hölle“, während bei den Russen in der Literatur die tiefsten Frauengestalten aller Literaturen geschaffen worden seien. Lesen Sie bei Dostojewski, bei Tolstoi, bei Turgenjew, bei Gogol und Lermontow nach. Die russische Literatur hat die Rätsel des Weibes gelöst. Warum aber gibt uns dieser Sascha Schneider keine Frauengestalten, fragt man in einem fort, zumal doch ohnehin das Weib bis jetzt das dankbarste Operationsmaterial aller Symbolisten gewesen ist und noch sein werde? Und eines sei Schneider ja auf alle Fälle, er sei ein Symbolist. Das wäre unstrittig … Ach, diese Herrschaften übersehen eines, sagte Schneider, während May in seinem Korbsessel, in Qualmwolken gehüllt, ganz still zuhörte. Sie übersehen in ihrem Orakel, dass der letzte Hauptzug meiner Kunst der ist, dass sie ausschließlich für die Wandmalerei geschaffen wurde und auch noch wird. Abgesehen von „Ein Wiedersehen“ eignet sich keine meiner Kompositionen, wie sie zum Beispiel augenblicklich in der Kunsthalle zu Düsseldorf zu sehen sind, zu Staffelei- oder größeren Galeriebildern. Nein, diese Bilder müssen auf die Wand gemalt werden! Infolge dieser Naturanlage hat kürzlich ein schlauer Kopf gesagt, wegen dieser Tatsachen sei Sascha Schneider, sei ich! der einzige aller jetzigen jungen Künstler im Deutschen Reich, dessen Talent unbedingt auf das Fresko hinweist.
Ich könnte daher für Deutschland das werden, sagt dieser Schlauberger weiter, womit er ein bisschen recht hat, aber eben nur ein bisschen, also, ich könnte nach seiner Meinung das werden, was, freilich in ganz anderem Stile, für Frankreich Puvis de Chavannes ist. Doch dieser Kunstzweig ruhe leider in Deutschland noch in Händen von Künstlern sehr veralteter Richtung. Ob Schneider so etwas wie de Chavannes jedoch werde, glaubt der Schlaue indes nicht. Seine Kunst sei dem germanischen Gaumen zu slawisch, fantasiert er weiter, zu slawisch, als dass man sie dauernd sehen wolle. Über Schneiders vortreffliche Zeichnung der Kartons sei anderweitig genügend geschrieben worden … bla, bla. Sehen Sie, lieber Freund, so sieht man mich, Sascha Schneider, demnächst Professor an der Großherzoglichen Akademie in Weimar …
Es ist, als ob man von einem galoppierenden Pferd nur den Schweif beschreibt, weil man in seinem Vorbeigaloppieren nichts weiter gesehen hat. Sie beschreiben mich, aber es ist nur ein Teil, ein Bruchstück von mir. Eine Winzigkeit – mein Schweif, ha, ha. Deswegen gebe ich nichts darauf, bester Freund. Nehmen Sie zum Beispiel die These meiner russischen Seele. Sie trifft zu und sie trifft nicht zu. Natürlich hat mich die russische Kunst, hat mich meine Kindheit in Russland, geprägt, so wie jedes Kind in seinen ersten Jahren geprägt wird, aber es ist, als ob Sie, weil Sie in frühester Jugend in der Kirche einmal Bach hörten, nun für alle Zeit ein Jünger dieser Musik sein müssen. Ich liebe Bach, aber ich liebe auch Mozart und die modernen Musiker wie Richard Strauß oder Gustav Mahler. Eine Prägung hat viele Facetten, niemals eine einzige. Und überhaupt dieser Begriff der „slawischen Kunst“, eine Unart, alles nach Stammes- und Rassenzugehörigkeit einzuteilen.
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