Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
einen guten Start haben, vor lauter Neugier werden die Leute lesen wollen, was so ein Berühmter wie der May in der „Sachsenstimme“ zu sagen habe. Er, der Herausgeber, werde mit dem Drucken gar nicht nachkommen. Ob sie dann auch die May’schen Texte abzutippen habe? Na freilich, liebste Elsbeth, auf alle Fälle, antwortet Lebius, jede Menge zu schreiben werde sie bekommen und ins Vorderhaus müsse sie umziehen, alles ganz so, wie er es ihr vorausgesagt habe, es dauere nicht mehr lange, dann sei sie in seinem Verlagshaus die erste Kraft und seine rechte Hand. Fröhlich und beruhigt gießt die Elsbeth Kühnel das Wasser über den gemahlenen Kaffee, lässt das Ganze ein wenig ziehen, schnuppert den würzigen Kaffeeduft. Ihr Herz klopft in freudiger Erwartung.
Vielleicht tue sie dem Rudolf unrecht, sagt sie sich, vielleicht sei er doch kein so übler Kerl und sie werde doch noch ihr Glück haben, die „Sachsenstimme“ werde eine erfolgreiche Zeitung und sie brauche nicht mehr auf Kundensuche zu gehen – dann gießt sie den Kaffee in die Tassen, stellt ein paar Kekse in einer Schale dazu. Bitte sehr, liebster Rudolf, sagt sie und lächelt ihr Honiglächeln, auf solche Botschaft, solle er sich den Kaffee schmecken lassen, auch die Kekse, die seien selbstgebacken …
Am Abend sitzt Erich Fromhagen bei seiner Freundin Elsbeth Kühnel in der kleinen Wohnung, Alaunstraße 24, erstes Hinterhaus, raucht und wartet aufs Essen. Der blonde schlacksige Junge mit der langen, gebogenen Nase, den blauen Augen unter der klaren breiten Stirn hat sich’s in dem alten, zerschabten Ohrensessel bequem gemacht, in dem ein paar Stunden vorher schon der Rudolf Lebius gesessen hat. Seine Gedanken gehen hin und her zwischen seinem studentischen Alltag, einer Belegarbeit, die er zu schreiben hat und seiner Elsbeth, die in der winzigen Küche das Abendessen zubereitet.
Es dauert lange mit dem Essen heute, aber es scheint, Elsbeth bereitet etwas Gutes, Schmackhaftes. Es duftet angenehm von der Küche her, deren Tür halb offen steht. Er weiß nicht, wie schwer es mit der einzigen Gasflamme für sie ist und den beschränkten Mitteln, ein Essen zu zaubern, das ihren Schatz verwöhnt und einen netten Abend zustande bringt.
Erich denkt an die letzte Woche, wo er Abend für Abend fort gewesen ist, im Theater, in der Oper, fünfter Rang, Studentenstehplatz, wo er zu Vorträgen, zu einer Versammlung der Sozialistischen Jugend gegangen ist, wo er sich die Finger wund geschrieben hat in den Zwischenzeiten an seiner Arbeit. Ach, wie schön ist es, wieder bei seiner Elsbeth zu sein und sich verwöhnen zu lassen. Sie ist doch ein liebes Kind, seine Betty, wie er sie manchmal nennt, ach, wenn sie nur auf ihn hörte und dieses Schreibbüro aufgäbe und sich von der Illusion trennte, es bei dieser „Sachsenstimme“ und dem windigen Typ, diesem Lebius, dem Hallodri, zu etwas zu bringen …
Die Belegarbeit, an der er arbeitet, ist nicht einfach. Es geht darum, so die Aufgabe, herauszuarbeiten, wie sehr das Judentum sich in die deutsche Kunst hineingrabe, warum es in der Malerei, der Musik, der Literatur alles Deutsche zersetze, woran man diese Gefährlichkeit erkennen könne, wie sie sich entwickelt habe, diese Tendenz, und wie sie zum Schluss die Fundamente des Reiches aushöhle. Ein kitzliges Thema, das sein Professor da für ihn ausgesucht hat, schließlich habe er, Erich Fromhagen, jüdische Mitstudenten, mit denen er engsten Umgang pflege, die Eigentümer der Bank seines Vaters seien fast allesamt Juden, und er selber, Erich Fromhagen, liebe Mendelssohn und Meyerbeer, lese Wassermann und immer wieder Heine, Bamberger und Auerbach, sehe gerne Bilder von Oppenheim und Bendemann; dennoch, das Thema reizt ihn, es fordert ihn heraus. Er wird eine eigene These ableiten, anders, als sein Professor erwarte. Ein eigentümlicher Fehler der Deutschen sei es, hat er formuliert, immer einen Hanswurst, einen Prügelknaben für das eigene begrenzte Vermögen auszufinden, und dem dann alles anzulasten, wozu man selber nicht in der Lage wäre. Der Deutsche sei, wird er sagen, neben dem Zaren in Russland der einzige Judenhasser in Europa, und dieser Hass sei, wie jeder Hass, ein Zeichen von Dummheit und Borniertheit … und da die Deutschen alles, was sie anfassten, mit handwerklicher Gründlichkeit täten, wäre dieser Hass auch zugleich eine Gefahr für den Frieden und das Zusammenleben in Europa. Ja, er wird zitieren und berühmte Geister zu seinen Zeugen
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