Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
langsam, mal spricht er laut, dann scheint er zu flüstern. Was er zu sagen hat, klingt dunkel, philosophisch, verschwörerisch, aber seine Sprache hat Melodie und das gefällt der Elsbeth und schmeichelt ihrem musikalischen Gefühl …
Plötzlich klingelt es aufs Neue. Der Herr bricht sein Diktat ab, schaut verwundert auf. Elsbeth schrickt zusammen. Oh, das wird er sein. Gerade jetzt kommt der Rudolf, natürlich im falschen Moment, zur Unzeit, jetzt, wo sie und der neue Kunde … der brummt, na nun gehen Sie schon öffnen, Fräulein Kühnel. Es ist ja erfreulich, wenn Ihr Geschäft so besucht wird …
Es ist tatsächlich Rudolf Lebius. Mit seinem schiefen Lächeln, den Scheitel geölt, die runde Stahlbrille auf der Nasenspitze steht er in der Tür. Oh, Elsbeth, meine Liebe, sagt er, nachdem er das Erschrecken in ihren Augen gesehen hat, ich komme wohl ungelegen?
Nein, nein, antwortet die Kühnel und hat sich ein wenig gefangen, komm nur herein. Was soll sie mit ihm auch machen, sie kann ihn ja nicht auf der Treppe stehen lassen, er ist ihr Hauptauftraggeber. Doch da ist die Sorge, denn sie kennt ihren Rudolf, dass er ihr den Neuen vergrault, ihn durch freche und provozierende Reden zum Abgang zwingt.
Sie führt ihn ins Zimmer, macht die Herren miteinander bekannt. Die Männer beschauen sich. Man sieht, sie sind sich vom ersten Augenblick an unsympathisch. Der kleine schmierige Lebius steht vor dem riesigen Herrn Angerstein wie ein Coyote vor einem Bären. Dennoch geben sie sich die Hand, die beiden Männer. Angerstein, Privatgelehrter, psychologische Studien, sagt der Große und reicht seine rötlich behaarte Pranke. Angenehm, entgegnet Lebius, Schriftsteller und Redakteur, Zeitungsherausgeber. Vielleicht habe er schon von seinem Blatt, der „Sachsenstimme“ gehört, renommierte Sonntagszeitung, gerne und viel gelesen. Der Große schüttelt den Kopf und antwortet, genauso wenig, verehrter Herr, wie Sie sicher meine Publikation über die Seelenwanderung gelesen haben werden. Auch übrigens in einem renommierten Blatt erschienen, den „Mitteilungen der Allgemeinen deutschen Psychologengesellschaft für das Reichsgebiet und Österreich“. Er feixt, denn die Verblüffung scheint ihm gelungen. Lebius wirkt einen Augenblick lang irritiert. Doch er erholt sich schnell.
Ich gratuliere Ihnen, pariert er den Hieb, dass Sie dort veröffentlichen können. Umso mehr verwundert es mich, Lebius lacht dem Großen frech ins Gesicht, dass Sie hierher spaziert kommen und meine Mitarbeiterin von der Arbeit abhalten. Elsbeth Kühnel will etwas sagen, sie öffnet den Mund, aber der Privatgelehrte Angerstein kommt ihr zuvor. Er habe gar nicht gewusst, sagt er, dass die Dame seine Angestellte sei. Vorn am Durchgang auf dem Schild stehe doch „Elsbeth Kühnel – Schreibarbeiten“ und nicht „Verlagsbüro Sachsenstimme“. Ja, ja, sagt Lebius schnell, eine Formsache, das müsse noch korrigiert werden, indes, es sei die Dame in der Tat in seinem Verlag beschäftigt und sie stehe für fremde Arbeiten nur sehr begrenzt und nur nach Voranmeldung und gegen einen entsprechenden Aufpreis zur Verfügung. Das habe sie dem Herrn doch erklärt? fragt Lebius die völlig verdutzte Elsbeth Kühnel, die noch immer kein Wort herausgebracht hat, wenn nicht, fährt er ungeniert fort, so sage er ihm, dem verehrten Herrn Angerstein, dass diese Extraarbeiten mit einem Aufpreis von 50 Pfennigen pro geschriebene Seite berechnet würden. Wie viele Seiten es denn wären? 300 Seiten! antwortet der Große, ziemlich überrascht und plötzlich brav und folgsam, als stünde er vor seinem Lehrer. Na sehen Sie, triumphiert Lebius, da wären ja ganze 150 Mark fällig, und die verlange er sofort und in Vorkasse. Bar auf die Hand, ohne Skonto. Und der Redakteur macht Anstalten, als wolle er eine Rechnung schreiben, er zieht einen Rechnungsblock, auch seine Geldbörse zückt er und öffnet sie. Elsbeth Kühnel, überrumpelt, vollkommen perplex, macht ein erschrockenes Gesicht. So habe man nicht gewettet, so nicht, donnert jetzt der große Herr Angerstein, das sei nicht verabredet gewesen und unter diesen Voraussetzungen … er sucht mit den Augen seinen englischen Radmantel, den er am Fenster über einen Stuhl gelegt hat, unter diesen Voraussetzungen, liebes Fräulein Kühnel, da sei es wohl besser, man würde an dieser Stelle abbrechen, er habe ja gleich gesagt, es wäre nur ein Versuch …
Aber, lieber Herr Angerstein, die Kühnel ängstlich und verstört,
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