Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
hat er ihr den Optimismus ausgetrieben wie einem Kinde die Flausen, die Vorfreude wie ein Flämmchen ausgetreten, nein, nun will sie auch nicht von dem neuen Kunden reden, obwohl sie so gerne Erichs Meinung über Herrn Angerstein gewusst hätte. Denn eigentlich hält sie viel von Erichs Urteil, es ist so treffsicher und klar, sie liebt ihn wegen seiner Klarheit.
Sie fängt an, die Teller und das Besteck wegzuräumen.
Erich indes isst noch von dem Birnenkompott, schüttet Sahne darüber, er schwatzt munter fort, redet von seinen Sozialdemokraten, er hat gar nicht gemerkt, dass er seine Liebste verstimmt hat, dennoch sagt er versöhnlerisch, sie solle nicht alles auf die Goldwaage legen, was er sage, er meine es ja immer gut und wolle nur ihr Bestes und vielleicht komme sie ja noch alleine dahinter, dass er recht habe …
Endlich, das Birnenkompott ist ausgelöffelt, er schaut auf, sieht ihr Gesicht und nimmt den Unmut wahr. Oh, Betty, was ziehst du für ein Mäulchen, hab ich was Dummes gesagt?
Elsbeth, die auf ihrem Gesicht alles anzeigt, was sie bewegt, sagt finster: Tu doch nicht so.
Schön, meinetwegen, sagt Erich, dem auf einmal klar wird, was seine Liebste gewollt hat, dann erzähl schon von dem neuen Kunden, und wegen der „Sachsenstimme“ will ich mich zurückhalten. Werde die Sache von ferne beobachten, aber, so viel sei dir gesagt, wenn der Kerl dir in der Karl-May-Sache Schaden zufügt, dann schalt ich mich ein. Wir von der Sozialdemokratischen Jugend sind eine schlagkräftige Truppe … ha, ha, und der Student Erich Fromhagen lacht laut auf, nimmt sich noch von den Rippchen, die auf dem Tisch stehen geblieben sind, knabbert daran herum, achtet nicht auf die Finger, die er sich dabei fettig macht.
Trotz dieser gespielten Schnoddrigkeit merkt Elsbeth sehr wohl, dass die Worte ihres Liebsten eine Art Entschuldigung sein sollen. Sie weiß, er hat es gut gemeint, auch mit dem Geschimpfe über den Rudolf Lebius, wahrscheinlich hat er sogar recht. Aber so genau will sie das alles jetzt gar nicht wissen, sie will noch einen Rest von ihrem Optimismus in sich behalten, will noch weiter daran glauben, dass alles gut wird.
Sie trägt jetzt Kaffee und Apfelstrudel mit Sahne auf. Erichs Gesicht verzieht sich zu einem genussvollen Grinsen. Sie sagt: Du könntest deinen Vater bitten, dass er dir Geld für einen neuen Anzug bewilligt. Was du da anhast, das trägt sich nicht mehr, das sieht alt und abgetragen aus, auch von dem Hemd ist der Kragen abgestoßen, ich wundre mich, dass deine Genossen und vor allem deine Genossinnen nichts sagen …
Ach, jetzt geht die Tour wieder los, stöhnt Erich und schlürft mit spitzem Mund den heißen Kaffee. Ja, sagt Elsbeth leise und senkt die Augen, fast zwei ganze Wochen bist du nicht mehr hier gewesen.
Komm, hör auf, sagt Erich und streichelt seiner Elsbeth den Arm. Ich hab noch ein paar Mark. Gleich morgen gehen wir los, sagen wir ins Kaufhaus Jäger. Da lass ich mir einen anmessen, englisches Tuch, Zweireiher, dazu Hemd und Binder, ha, ha …
Ach, du bist wohl verrückt, dort ist doch alles viel zu teuer. Du veralberst mich, oder?
Ich denke, es soll etwas Repräsentatives sein? Und für deinen Erich sollte dir nichts zu teuer sein, außerdem bezahlst du’s ja nicht
Ja, aber …
Was aber?
Schließlich einigen sie sich. Man wird in der nächsten Woche zu Renner gehen, dort werden sie einen Anzug von der Stange kaufen. Rehbraun, Zweireiher mit hellen Hornknöpfen. Das stünde ihm so gut, sagt die Elsbeth. Wenn er damit dann zu ihr käme, dächten die Leute, er sei etwas Besseres, sie sei aufgestiegen in die vornehmeren Kreise.
Aber ein paar Seidenstrümpfe musst du dir von mir schenken lassen, lacht Erich. Wenn ich einen neuen Anzug bekomme, brauchst du unbedingt ein paar Seidenstrümpfe, grau mit Silberfaden …
Wieso? Wieso brauch ich dann Seidenstrümpfe? Elsbeth schaut ernst zu ihrem Erich, dann begreift sie, lacht auf, ihre Wangen röten sich. Er lässt seinen Apfelstrudel stehen, geht um den Tisch und nimmt seine Liebste in die Arme.
* * *
An diesem Montag der ersten Maiwoche 1904 saß der freischaffende Militärschriftsteller und Publizist Max Dittrich in der Villa seines Freundes Karl May in Radebeul, Kirchstraße 5, saß im Salon, saß vor dem Bild „Die Offenbarung“ von Sascha Schneider und sah ziemlich grau und angeschlagen aus. Kaum dass er Augen für das gewaltige Kunstwerk hatte.
Er fühlt sich nicht wohl, der Max Dittrich. Eigentlich
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