Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
oder glaubst, Deinem Karl zu schaden, ich werde Dir helfen in Deiner Not, ich werde in Dresden Klage einreichen „wegen betrügerischer Handlungen zur Ermöglichung der Ehescheidung“. Und niemand kann mich daran hindern. Das wird in den nächsten Wochen geschehen, nachdem ich mich noch einmal mit einem Anwalt beraten habe. So wahr mir Gott helfe! Wir werden die ganzen sogenannten Gründe der Plöhn, der Beibler und Deines Karl auseinandernehmen und die Sache richtigstellen, vom Kopf auf die Füße sozusagen, die Wahrheit muss ans Licht kommen, liebste Emma, nichts als die Wahrheit, und die ganze Erbärmlichkeit dieser Ehescheidungsklage wird in sich zusammenstürzen. Und die Plöhn und Dein Karl werden dastehen, als das, was sie sind: hundsgemeine Schwindler und Betrüger! Das hat auch mein Heinrich gesagt … glaub mir, alles wird gut, mein Mädchen, Du wirst wieder glückliche Tage sehen … und es gibt Zeichen. Denk Dir, die Topfpflanze, die Du mir im vergangenen Jahr geschenkt hast, ist jetzt im Spätsommer zum zweiten Mal ganz wunderbar aufgeblüht. Ich habe die Blüten gezählt – zweiundzwanzig sind zu sehen, die Hälfte aufgegangen, die anderen noch in der Knospe. Wenn das keine Himmelsbotschaft ist? …
Emma stöhnt auf und lässt den Briefbogen sinken. Sie hat Mühe, die Tränen zurückzuhalten.
Einen Augenblick lang ist ein großes Verharren im Pollmerschen Wohnzimmer, selbst Karlchen gibt in seinem Käfig keinen Ton von sich, hockt auf seiner hölzernen Schaukel wie erstarrt. Dann, entschlossen steht die Sängerin auf, schiebt ihren Stuhl nach hinten, es entsteht ein schnarrender Ton, sie tritt zur Freundin hin, mitfühlend legt sie ihren Arm um Emmas Schultern: Aber, liebste Emma, sagt sie zärtlich, Sie werden doch jetzt nicht weinen, und sie wirft einen Seitenblick auf die Kaufmannswitwe, die ihr aufmunternd zuzwinkert, Ihre Louise hat doch den Nagel auf den Kopf getroffen. Genauso empfinden wir auch, wir werden Sie nicht im Stich lassen, keine Angst, Sie können auf uns zählen. Jederzeit, liebste Emma, ja jederzeit. Gleich morgen will ich mit Viktor Neumann sprechen, dem Anwalt. Er soll sich mit der Sache befassen und Kontakt zu Ihrer Louise aufnehmen. Sie werden sehen, alles wird gut und Ihre Ehre wird wiederhergestellt. Sie beugt ihren Kopf und küsst Emma schwesterlich auf die Schläfe, dann geht sie wieder zu ihrem Stuhl, setzt sich. Schweigt, blickt vor sich hin. Auf einmal aber, ein paar Sekunden später, lächelt sie verschmitzt.
Sagen Sie, liebste Emma, haben Sie nicht irgendwo ein Likörchen versteckt? Ich würd jetzt so gern ein Gläschen trinken.
Ich auch, ich auch, ruft die Baer und hebt wie in der Schule den Arm. Und die Emma, sie wirkt erleichtert, erhebt sich, geht zu einem Schränkchen und kommt mit einer Kristallflasche rotgoldenen Pomeranzenlikörs zurück. Sie stellt drei grüne Gläschen auf den Tisch, Karl hat sie ihr vor vielen Jahren aus dem Böhmischen mitgebracht. Sie schenkt ein. Die Damen trinken und prosten sich zu. Schlagartig hebt sich die Stimmung. Emma lächelt sogar, sie will eine ihrer Geschichten erzählen. Ach, wisst ihr, sagt sie, mein Karl hat mich so manches Mal hinters Licht geführt, besonders, wenn es ums Geld ging, und all das hat bei der Scheidungsklage dann keine Rolle gespielt, denn ich hatte’s vergessen oder mich nicht getraut, davon zu reden, hatte auch keinen Rechtsbeistand. Leer war mir der Kopf und wie benebelt, als ich die Klageschrift unterschrieb. An nichts dachte ich damals, als nur daran – fort, fort, nichts wie fort. Also, da war zum Beispiel die Geschichte vom „Geheimkomiker“ – warum wir, besonders Karl ihn so genannt hatten, weiß ich heute nicht mehr. Das Ganze ist über zehn Jahre her. Er hieß Krämer, soviel ich mich besinne, Sebastian mit Vornamen. Also dieser Krämer, ein junger Mensch von fünfundzwanzig Jahren, noch dazu kurz davor, in den Ehestand zu treten, dieser Krämer stand eines Tages vor unserer Tür. Er klingelte dreimal, trat von einem Bein aufs andere, hatte es eilig, das Mädchen führte ihn in Karls Arbeitszimmer, ich bemerkte davon zunächst nichts, denn ich war ganz oben unter dem Dach und nähte an einem Hemd für Karl. Krämer, der „Geheimkomiker“, wie wir ihn nannten, hatte in Karls Auftrag eine Abschrift seiner Erzählung „Der Krumir“ angefertigt. Er sollte dafür 28,70 Mark Honorar bekommen. Karl aber gab ihm, weil Krämers Braut eine zusätzliche Abschrift gefertigt hatte, 50 Mark und
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