Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
dabei gewesen, sie haben sich nichts vorzuwerfen. Nun wohnt Louise mit ihrem Heinrich schon fast zwei Jahre in Berlin und sie haben sich in der Hauptsache nur noch Briefe geschrieben. Wie schade. Von der Scheidung hat sie ihrem „Kaninchen“ zuerst gar nichts mitgeteilt, später in Andeutungen. Und so habe Louise die ganze Sache schließlich hintenherum, über gemeinsame Bekannte, erfahren. Nun aber wollte sie alles wissen, haarklein und ganz genau, und sie hat sich in die Eisenbahn gesetzt und ist zu ihr gekommen. Das ist vor zwei Monaten gewesen. Noch gar nicht richtig eingerichtet war sie da hier in Weimar. Die Hände in die Hüften gestützt, hat die Freundin Emmas Bericht angehört, mit empörtem Gesicht die Gerichtsprotokolle gelesen. Sie werde sich etwas überlegen, hat sie grimmig geknurrt, eine solche Schweinerei dürfe niemals hingenommen werden. Dann ist sie zwei Tage später wieder nach Berlin gefahren. Und nun ist ihr Brief gekommen.
O ja, denkt die geplagte Emma, Louise hat sich etwas überlegt, dieses „wehrhafte Kaninchen“ …
Also hört zu, sagt Emma. Sie faltet umständlich den Brief auseinander. Und die Freundinnen, die Sängerin Selma vom Scheidt und die Kaufmannswitwe Maria Veronika Baer, sitzen wie die Schülerinnen aufrecht auf ihren Polsterstühlen und sind gespannt. Auf den Kuchentellern liegen einsam und wie vergessen nur noch ein paar Krümel, die Kaffeetassen sind bis auf den braunen Ring am Tassengrund leer und ausgetrunken, artig die Silberlöffel daneben. Sogar Karlchen schweigt auf seiner Stange, als ob auch er jetzt weiter nichts als zuhören möchte. Und einen Augenblick lang hört man laut und vernehmlich das Klick-Klack, Klick-Klack der Schwarzwälder Kuckucksuhr. Sie thront über dem Vertiko und schaut mit all ihren Schnitzereien auf die kleine Versammlung herab.
Hört also, wiederholt Emma, sie zieht den Briefbogen näher, kneift die Augen ein wenig zusammen, um besser lesen zu können. Meine Louise schreibt hier: … habe die Abschrift der Ehescheidungsklage, die Du mir freundlich übersandtest, gelesen und bin aufs Tiefste empört. Wie du mir schriebst, so sah auch ich sofort, dass diese Beschuldigungen ganz entschieden unwahr sind. Sie scheinen aufgebauscht und sind, wie du richtig schreibst, an den Haaren herbeigezogen. Es wird tatsächlich so sein, dass Dein Mann aufgrund der von Dir unterschriebenen Erklärung, dass Du ihn nicht mehr liebtest (eine ungeheuerliche Dummheit von Dir!), sich von Dir scheiden lassen wollte. Er dachte zunächst, dass dies so ohne allen Aufwand möglich sei, aber dann wird ihm dieser verruchte Bernstein, sein Anwalt, geraten haben, nach weiteren und fundierten Gründen zu suchen. Und beim Suchen der Gründe sind dann die Plöhn und ihre Mutter, die alte Beibler, aktiv geworden und haben veraltete Tatsachen aufgegriffen, aufgeblasen und verdreht, wie die Sache mit der Aufbewahrung der von Dir als „Notgroschen“ beiseitegelegten 36 000 Mark, welche sie dann als „Diebstahl“ deklarierten, oder die angeblich veruntreuten Geschäftsbriefe, die überall im Hause versteckt gewesen sein sollen, sogar in der Ofenröhre Eures Stubenofens, oder die Aufzählung Deiner Schimpfworte, die Du Deinem Karl an den Kopf geworfen haben sollst, Schimpfworte, wie sie jede deutsche Hausfrau dutzendmal in der Woche ihrem Mann an den Kopf wirft – und wer von uns Frauen schimpft nicht mit dem Ehemann. Oh, wenn mein Heinrich seinerseits da eine Liste machte, die würde ellenlang. Aber ich könnte natürlich, so wie auch Du, eine Gegenliste erstellen, und die würde nicht weniger lang. Und mein Heinrich, das sag ich Dir, kann „saftig“ schimpfen und brüllen. Doch tun wir das? Lassen wir uns deswegen scheiden? Natürlich nicht. Nein, ich sage Dir was dies denn alles ist, meine liebe Emma? Das sind Banalitäten und Alltäglichkeiten und Lügereien: Das der Plöhn übergebene Spargeld, genauso wie die Briefe oder die Schimpfworte und all das andere auch. Wer Gründe sucht, der findet welche. Die alten Chinesen sagen: Dem Schlechten ist alles schlecht! Die Plöhn wollte Deinen Karl, und den hat sie nun bekommen (ob es die reine Freude wird, weiß ich nicht) und da musstest Du aus dem Weg – so einfach ist das, meine Liebe. Aus dem Weg haben sie Dich geräumt. Du warst dumm genug, die Gründe zu liefern. Ach, mein liebes Dummchen, nun weine nicht so viel. Eines aber wisse, ich, Deine alte Freundin Louise Haeußler, wenn Du schon selbst noch Hemmungen hast
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