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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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ansässig, hat es geschafft, dem kleinen Röder zu seinem Recht zu verhelfen. Was man so hört, soll seine Geschiedene ganz gehörig Federn gelassen haben, und unser Konzertmeister wird wohl nun mit erhobenem Kopf aus der Sache herauskommen …
    Hier macht die Sängerin eine Pause, in der sie ihre Freundinnen, besonders aber Emma Pollmer, bedeutungsvoll anblickt, sie setzt sich in ihrem Polsterstuhl kerzengerade hin, sodass ihr straffer kleiner Busen durch die Spitzenbluse sticht wie die Rüstung der Jeanne d’Arc. Ja, ja, seufzt die Kaufmannswitwe nach einer Weile nachdenklich und legt ihre Kuchengabel beiseite, man soll eben nicht aufgeben. Immer gibt es irgendeine Hoffnung, und, wie mein Seliger oft gesagt hat: Man muss nur die richtigen Leute kennen!
    Emma aber, an die all diese Reden gerichtet waren, sie schweigt. Stark errötet sitzt sie da und atmet schwer. Ein paar Mal blickt sie von einer zur anderen, von der Sängerin zur Kaufmannswitwe und wieder zurück, dann wendet sie den Kopf zur Seite und starrt sekundenlang zum Fenster hinaus. Es scheint, als zittere sie oder als würde sie im nächsten Moment ein Schwall von Tränen überkommen. Dann, mitten in ihr Starren, stößt sie plötzlich ein „Ach!“ aus, springt auf, geht zum Vertiko, auf dem Karls Bücher liegen und wo die postkartengroßen Fotografien in ihren schwarzen Papprahmen stehen, sie zieht entschlossen eine Schublade auf, entnimmt einen Brief. Zurück am Tisch setzt sie sich stöhnend, fast ein wenig schnaufend nieder, legt den Brief vor sich hin, streicht ihn ein paar Mal mit ihren dicklichen Fingern glatt; und er scheint in einer abenteuerlichen Art zerknittert und abgegriffen, sodass die Freundinnen, die neugierig und gespannt jede Regung und Bewegung ihrer armen Freundin verfolgt haben, jetzt ihre aufgerissenen Augen auf diese Hände und diesen Brief richten. Was war das nun wieder? Welche Neuigkeit würde es geben? Nicht zu fassen! Womit könnte die arme geplagte Emma sie noch überraschen, haben sie, ihre engsten Freundinnen, doch bis eben noch geglaubt, alle Details dieses traurigen Falles bestens zu kennen?
    Emma blickt wieder von einer zur anderen, holt dann tief Luft, streicht noch zweimal mit ihren Fingern über den zerknitterten Umschlag, seufzt und sagt dann, oh ja, das habe sie kommen sehen, irgendwann, so habe sie in den letzten Tagen, seit sie diesen Brief bekommen, gedacht, irgendwann würde sie dem leidigen Thema nicht mehr ausweichen können.
    Welchem leidigen Thema denn? fragen die Damen fast gleichzeitig, fragen und wissen genau, was gemeint ist, und so nicken sie denn auch beifällig, als Emma antwortet, dem leidigen Thema, dass sie sich dem Unrecht ihrer Scheidung endlich stellen, es sozusagen aufdecken und dagegen ankämpfen müsse. Aber, und hier seufzt die arme Emma aufs Neue ganz herzergreifend, aber es falle ihr so unendlich schwer, denn … sie macht eine Pause, seufzt wieder, schnäuzt sich.
    Denn? fragt die Kaufmannswitwe ungeduldig. Was für ein „Denn“, liebste Freundin?
    Ach, stöhnt Emma Pollmer und sucht nach ihrem Schnupftuch, das sie eben weggesteckt hat, ach, jammert sie und eine Träne rollt über ihre Wange:
    Ich liebe meinen Karl noch immer so sehr, so sehr, ach …
    Die Damen sind empört. Aber, liebste Emma, wie kannst du nur, nach all dem, was er dir angetan hat …? Die Sängerin platzt vor Ungeduld.
    Nun lesen Sie schon vor, Emma! Was steht in dem Brief?
    Wenn sie ihn schon herbeigeholt habe, müsse sie auch offenbaren, was darin stehe. Ja, da habe die Frau vom Scheidt schon recht, sagt die Baer.
    Lass uns bitte nicht im Unklaren, Emma! Fass dir ein Herz, Liebes!
    Also gut. Der Brief, und Emma hebt das Kuvert in die Höhe, der Brief stamme von ihrer Berliner Freundin Louise Häußler. Er sei noch nicht eine Woche alt … Emma hält einen Moment inne, sie erinnert sich an die liebe Freundin Louise. Und sie besinnt sich noch genau, wie sie die Annonce aufgegeben hat, mit der alles begann. Im Frühjahr 91 ist das gewesen:
Suche liebe Freundin für gemeinsame Freizeit- und Feierabendgestaltung!
Karl hatte es erlaubt. Eine Freundin per Annonce? Wenn du meinst? Ach bitte, Karl. Ich bin oft so einsam. Du schreibst und schreibst, all die Abende und Nächte. Und ich? Was mach ich? Ich sterbe derweil vor Langeweile. Ach, bitte Karl. Ja, gut, einverstanden! Gib nur die Annonce auf, Liebes. Und er hatte ihr sogar den Text diktiert. Keine zwei Wochen später – eine Karte. Die erste Nachricht von Louise.

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