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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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Wertung der Welt und der Kunst. Sie hörte viel und es fiel ihr nicht schwer, sich vorzustellen, was ungesagt geblieben war oder was nur angedeutet wurde. Über manches des hier Gehörten, auch über Politisches, Wirtschaftliches, natürlich über Künstlerisches, über die geistigen Strömungen in ihrer Stadt Dresden, hätte sie überraschende und gut fundierte Aufschlüsse geben können. Und sie wusste auch, was den Herrn Mehnert so erregte und warum er sein Birnenkompott und den Strudel vergaß. Sie wusste mehr, als der Stuhlnachbar des Mehnert, der Ministerialassistent Sterneck, sich in diesem Augenblick zusammenreimte.
    Er war ein großer und bekannter Mann, der Führer der Konservativen Paul Mehnert, verankert in der sächsischen Politik, „Sachsens ungekrönter König“ oft heimlich genannt, der es sich leisten konnte, ohne den Fraktionsvorsitz inne zu haben, den er vor vier Jahren abgegeben hatte, nachdem er zum Präsidenten der II. Kammer gewählt worden war, die Fäden weiter fest in der Hand zu halten. Die fremden, die
auswärt’schen
Gäste, nannte die Gretel ihnen seinen Namen, schauten neugierig und ehrfürchtig her, fragten leise nach, tuschelten.
    Aber die Kellnerin Gretel erinnerte sich auch seines verzerrten Gesichtes, als der Ehrenpräsident der Kunstakademie, Herrmann von Nostitz-Wallwitz, ihm einmal von einer Sitzung der Akademie berichtet hatte, wo der Maler Schneider, Mitglied der Auswahlkommission für die Dresdner Kunstausstellung, einen derben Witz gerissen und die Herren der Fraktion der Sächsischen Konservativen als eingetrocknete Malpinsel bezeichnet hatte, die zu nichts anderem mehr wie zum Rumstehen zu gebrauchen seien, und die Gretel begriff sehr gut, dass ihr Mehnert diesen Kunstmaler fortan mit besonderem Blick verfolgte, und er, kam die Sprache auf diesen Sonderling und Schlawiner, dem eine sonderbare und verbissene Liebe für alles Männliche nachgesagt wurde, eine säuerliche Miene bekam. Oh ja, sie hatte Verständnis für diesen hartgesottenen Politiker Mehnert, und sie kannte ihn, wahrscheinlich sogar besser als seine Frau Ottilie, wie sie dachte. Die hatte sie einmal hier im Café gesehen und sofort eine Abneigung bekommen, gezierte alte Schachtel, humorlos, mit hartem Mund und kalten Augen. Oh ja, solche Männer wie den Mehnert braucht der alte, halb senile König Georg, dachte die Kellnerin, und besonders der junge Kronprinz August, was soll aus dem schönen Sachsen werden, wenn alles drunter und drüber geht, wie die Sozialdemokraten befürchten lassen, die jetzt alles ändern wollen, aber nichts richtig machen. Sie sind einfach zu platschig, diese Oppositionellen. Bringen nichts zuwege. Die Kellnerin Gretel kannte das gut, wenn der Herr Abgeordnete Mehnert so auf Ordnung und die Sitten achtete, wenn er sich aufregte wie jetzt hier in ihrem Café wieder, wenn er schimpfte, auch wegen so einer kleinen Sache wie dem Streit der beiden Dichter, wenn er sein Kompott und den Strudel darüber vergaß. Doch sie glaubte auch, dass den Herrn Abgeordneten seine eigene Unvollkommenheit zwickte und zwackte, sein Ehrgeiz ihn stachelte, dass er sich ärgerte, wieder und wieder eingreifen zu müssen, dass nichts von alleine lief, und sie war dann immer besonders vorsorglich, sanft und mütterlich zu ihm – sie ging hin und flüsterte, er solle bei aller Aufregung nicht sein Birnenkompott und den Strudel vergessen, ganz kalt sei alles nun schon, unbekömmlich, und es schmecke nur halb so gut.
    In dem Lärm und dem Gezeter war unbemerkt ein glänzendes, schwarzes Automobil die Gasse hereingefahren, es hielt vor dem Café Seidelmann. Ihm entstieg ein Herr im gestreiften Cut mit grauer Halsbinde, ein Stöckchen mit Goldknauf in der Hand, eine würdige Erscheinung, es war der vom Ministerialassistenten Dr. Sterneck sehnsüchtig erwartete Gesamtminister Georg von Metzsch-Reichenbach. Schweren Schrittes, sein offenes, breites Gesicht mit den starken graumelierten Haaren wirkte durch den Mittelscheitel noch breiter, leutselig trat er an den Tisch mit seinem Kollegen Rüger, dem Assistenten Sterneck und Paul Mehnert, lächelte, gab den Herren, die sich schleunigst erhoben, die fleischige Hand.
    Na, was gibt’s? fragte er, ehe er, ohne weiter zu verweilen oder eine Antwort abzuwarten, nach rechts dem Nebenraum zuging. Der Kellnerin Gretel nickte er im Vorbeigehen mit einem Lächeln zu. Sie wusste, was zu servieren war. Der Gesamtminister trank immer einen Viertel Veltliner, nachher nahm er ein

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