Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
nachzueifern schien, saß zwischen den Herren Wilhelm von Rüger, dem allmächtigen Finanzminister, der alle paar Wochen in das Café Seidelmann zu kommen pflegte, wie um nach dem Rechten zu sehen, und Paul Mehnert, dem Vorsitzenden und Protagonisten der Konservativen Landtagsfraktion, der, vielleicht noch mächtiger als der poltrige Rüger, mit seinen harten, flinken Augen wie im Landtag die Fraktion hier die Caféhausgesellschaft überblickte, suchend nach Abweichlern und Aufmüpfigen. Sterneck hatte sogleich ins Nebenzimmer gespäht, wo häufig der Vorsitzende des Gesamtministeriums, Georg von Metzsch, saß, der, allen Anfeindungen oder Witzeleien zum Trotz, sich bei aller Arbeitsfülle gern unter seine Sachsen mischte und womöglich hernach in Pillnitz dem altersschwachen König Georg davon berichtete. Aber er hatte im Nebenzimmer niemanden, nicht den Ministerpräsidenten, sondern nur hier im Hauptlokal den Rüger und den Mehnert entdeckt und sich mit frischem Entschluss zu ihnen gesetzt. Leicht enttäuscht jetzt, denn am Morgen war ihm beim Rasieren die Idee gekommen, mit dem Metzsch, wenn er ihn bei Seidelmanns antreffen würde, noch einmal von der Sache Schneider zu reden, außerhalb der Diensträume gewissermaßen. Er wusste, Metzsch hatte sein, Sternecks, Schriftstück mit der Ablehnung des Schneiderschen Antrages nur überflogen, wahrscheinlich sogar nicht einmal gelesen, nur in der Aktenmappe abgezeichnet, dem Sekretär den Vorgang in die Hand gedrückt, erledigen Sie das! gesagt und der Sekretär hatte es erledigt, pünktlich, beflissen. Doch die Sache hatte eine Dimension, über die Sterneck mit dem großen Chef doch noch reden wollte. Er hatte Bestimmtes gehört, es gab da dunkle Zusammenhänge – der Metzsch sollte das wissen. Jetzt, neben dem Mehnert, fiel ihm ein, dass Mehnert und Metzsch wie Zwillinge oft zusammensteckten, dass man vielleicht auch dem Mehnert … doch er verwarf den Gedanken. Der zynische Mehnert war ihm zuwider, er wusste, er würde sich nicht überwinden können, mit diesem Mann etwas außer des Dienstes zu reden. Sterneck trank den bestellten Kaffee hastig, ohne Genuss, verbrannte sich fast Lippen und Zunge, schaute zur Kassiererin Gretel, die am Tresen stand und ihn anlächelte, wahrscheinlich hatte sie gesehen, wie er den heißen Kaffee an die Lippen gesetzt und sich beinahe verbrüht hatte.
Sterneck schaut sich um im Café, ob er nicht noch weitere Bekannte sieht, er betrachtet durch den Zigarrenrauch die Köpfe seiner Tischgenossen. Der Rüger war der typische Dresdner, aus dem kantigen Gesicht schauten gutmütige, dunkel wässrige Augen, genussvoll, sinnlich aß er seinen Strudel. Paul Mehnert, aus Klösterlein bei Aue gebürtig, etwas anbiedernd wie die Erzgebirgler, auch noch mit Resten seines Dialekts, doch hintergründig und mit tückischem Blick, trug den Schnurrbart frisch aufgezwirbelt, hatte hurtige, energische Bewegungen, rieb das beginnende Bäuchlein an der Tischkante. Er erging sich in starken Wendungen gegen die preußischen Schlawiner, gegen die Sozialdemokraten, gegen den Kulturverfall, der dem Heimatbekenntnis keinen Raum mehr gebe.
An einem der Nachbartische saß der Erste Richter am Landgericht Dresden, Landgerichtsrat Dr. Reinhard Spitzner, er rauchte eine schön geschwungene Kaffeehauspfeife mit Silberdeckel. Spitzner paffte genüsslich, seine Schnurrbartenden hingen über dem Mundstück der Pfeife und bewegten sich bei jedem Zug wie zwei müde braun befiederte Flügel. Sterneck wusste, Spitzner war im Nebenberuf ein nicht unbekannter Literat, Kunstfreund und Illustrator, er verfasste unter dem Pseudonym Reinhard Volker Erzählungen, Gedichte, Glossen und Schwänke, in seinem Haus in Oberloschwitz empfing er Literaten und Künstler, nannte sich selbstironisch und in breitester Mundart einen
Säch’schen Badrioden.
Spitzner lächelte zu den starken Reden Mehnerts, der jetzt mit einem Herrn am Nebentisch in einen lautstarken Disput über Bismark und seine Niederlage gegenüber den Sozialdemokraten, über einen preußischen Landrat, der statt mit Pferd und Wagen im Automobil fahren wollte und dafür kürzlich das sogenannte Pferdegeld beantragt habe, was ihm mit der Begründung abgelehnt wurde, ein Automobil sei keine angemessene Fortbewegung für einen Landrat, man redete über „Fleischnot“ und „Brotwucher“, über die Modefarbe beim Frauenhaar, die neuerdings rot eingefärbte Haare vorschriebe, und man redete natürlich über die Bagdadbahn,
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