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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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Sächsischer Politiker sein, das war schon was. Und die Journalisten stärkten bei den Gesprächen, die sich zwanglos, leutselig, geschwätzig ergaben, und die bei Wein und Kuchen, bei Kaffee und Sahne fast familiär wirkten, dieses Gefühl, sie bliesen ihnen warmen Wind in den Rücken, sodass sich ihre Segel bauschten. Wer das von den Herren wusste, kam gern ins Café Seidelmann.
    Gliederte sich damals Europa in zahlreiche souveräne Einzelstaaten, Monarchien zumeist, von denen das deutsche Kaiserreich neben dem British Empire das mächtigste war, so zerfiel Deutschland wiederum in vier Königreiche, als da waren Preußen, Bayern Würtemberg und Sachsen, in sechs Großherzogtümer, fünf Herzogtümer, sieben Fürstentümer, in die drei Freien Städte Hamburg, Lübeck und Bremen und schließlich das Reichsland Elsass-Lothringen. All diese Königreiche, Fürstentümer, Großherzogtümer, Herzogtümer und Reichsstädte, an ihrer Spitze die Länder Preußen, Bayern und Sachsen, wollten, wiewohl sie Tag für Tag durch die fortschreitende Industrialisierung und die äußere Politik des Gesamtreiches mehr und mehr zu Provinzen wurden, ihre Eigenstaatlichkeit mit Zähnen und Klauen eifersüchtig bewahren. Alle hatten ihre Traditionen, ihre eigene Herrscher- und Volksgeschichte, ihr abgeschirmtes Schul- und Bildungswesen, ihre Dialekte und Eigentümlichkeiten, ihre Sonderkabinette. Hunderte Minister, Tausende Parlamentarier regierten in diesem gestückelten Deutschland. Länderregierungen, Ministerpräsidenten und Minister, manche mit dem Titel königlich geziert, andere großherzoglich, herzoglich oder fürstlich genannt, Landtagsabgeordnete, Kammerpräsidenten, Beamte, eine endlose Zahl wollte nicht verschwinden oder gar zu Provinzbeamten werden. Sie nahmen nicht wahr, verdrängten, dachten nicht daran, dass sie längst durch die Zentralgewalt des Kaiserreiches zu bedeutungsarmen Provinzen herabgesunken waren; sie redeten, sie regierten unverdrossen, verwalteten, stapelten Akten und Vorgänge, wahrten veraltete Kompetenzen, um ihre fortgeerbte Eigenbedeutung am Leben zu erhalten. Die bayrischen und die sächsischen Minister und Parlamentarier führten diesen hoffnungslosen, wiewohl erbitterten Kampf gegen das Reich an, sie warfen mit deftigen, groben Worte für ihre Eigenerhaltung und wider die neue zentrale Macht um sich, sie bedienten sich der Religion, der Kunst, der Moral, um der angeblichen Aufweichung der alten gottgewollten Ordnung entgegenzutreten, sie nannten es Kulturkampf, sie eiferten, sie zettelten, wüteten, merzten aus, was ihnen nicht gefiel und was im Wege stand, alles Fremde, Neue, alles ihrer Meinung nach Kranke, Abartige, Unmoralische, Sozialdemokratische.
    In Sachsen waren die Konservativen fast unter sich, aber auch die Opposition, die diesen Partikularismus eigentlich ablehnte, sang mit im Chor, fühlte sich wichtig, und ein solcher Sonntagvormittag im Café Seidelmann war für alle eine große Zeit. Hier fühlten sie die Kraft des Volkes, das in Sachsen schon immer misstrauisch auf alles Fremde geschaut hatte, das sich gern im eigenen Neste wärmte, das zusammenhielt, vielleicht, weil von vielen der Sprache und ihrer Eigenheiten wegen verspottet, vielleicht auch, weil man die Sachsen für allzu
gemietlich
und
heemtücksch
hielt – man belächelte, verachtete und verleumdete sie, und so fühlten sich die Sachsen aus lauter Trotz und aus innerem Widerstand dem bayrischen „Mir san mir!“ am nächsten.
    Also saßen sie alle miteinander, die Konservativen, die Opposition, die Journalisten und Künstler, nicht in dem kleinen und etwas teureren Nebenzimmer, sondern betont volksnah im vollgestopften Hauptlokal. Wie sonst auch fühlten sich die Politiker und Anhänger der Opposition unbehaglich und klein, man ließ sie spüren, auch hier bei Kuchen und Sahne und Kaffee, wie ohnmächtig sie waren, wie winzig, wie geduldet; und sie lächelten gequält, waren bescheiden, einsilbig, aber doch das eine oder andere Mal auch voller Mut, wie ein Hündchen, das trotzig sein Recht erkläfft, dann brachten sie eine Diskussion in Gang, erzeugten Kontroversen, freuten sich der erzeugten Lebhaftigkeit und dankten dem jovialen Schulterklopfen der mächtigen Kollegen. Es saß, ein wenig fremd, schmal mit hochgezogenen Schultern, der Ministerialassistent Dr. Sterneck, noch keine vierzig, von geradem militärischem Wuchs, mit hellen Augen und einem blonden Bärtchen, das demjenigen des Kaisers in Berlin ein wenig

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