Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Amtsnachfolge zu gefährden. Rüger nämlich sollte ihn im Amte beerben, das hatte er sich vorgenommen. Erst im letzten Moment wollte er, um seine Gegner zu täuschen, die Karten auf den Tisch legen. Und der Freund, so glaubte er, ahnte nicht diesen Winkelzug, und so begründete er seine Idee mit dem Professor Schlögel wortreich und ausführlich. Schlögel habe sein Leben der Erforschung der Geschichte des sächsischen Handwerks gewidmet, habe mit manischem, professoralem Eifer Material zusammengetragen, war nie in Widerspruch geraten zu anderen Fachdisziplinen, zur allgemeinen Geschichtswissenschaft, er sei eine Art Institution geworden. Die Stadt Leipzig beabsichtige nun, sollte der Professor Schlögel pensioniert werden, einen Preußen vorzuschlagen, konfessionslos, dieser Mensch, und ein bekannter Freigeist, dies müsse man verhindern. Die beiden Herren wie auch Gutenstein, während sich der Gesamtminister fast schwärmerisch, weitläufig, wortreich, über die Bedeutung Schlögels erging, hatten keine Einwände, wunderten sich über seinen Enthusiasmus, ahnten, dass sich dahinter etwas Anderes, Größeres verberge, machten halbherzig, um der Form zu genügen, kleine Einwände, fragten nach, stimmten schließlich zu. Man besiegelte die Übereinkunft mit einer Flasche Schieler, welche die kundige Kellnerin Gretel bereitgestellt hatte, man redete noch über dies und das, der Gesundheitszustand des alten Königs wurde zum wiederholten Male besprochen, auch die Qualitäten des Kronprinzen, nicht mehr sprach man über die Mitteilungen des jungen Sterneck, weder über den Maler Schneider noch über seine Bilder; dann, gegen Mittag, verabschiedete man sich und ging einzeln, der Gesamtminister zuletzt, aus dem Café Seidelmann heraus auf die Straßen der inneren Stadt. Gutenstein, unbemerkt, hatte den Wagen geholt. Leise, unauffällig, wie er gekommen, fuhr der mächtige Mann davon.
Das Hauptlokal inzwischen hatte sich geleert, nur ein paar einzelne Stammgäste saßen noch beisammen im Café Seidelmann, sie mutmaßten über die Herren und die geheimen Gespräche im Nebenzimmer, der König, orakelten sie, der greise König gebe wohl Anlass zur Sorge. Dann zerstreuten sich die wenigen. Laufkundschaft, Touristen kamen, blieben nicht lange. Das Wetter, ein wenig besser geworden, verhieß einen halbwegs angenehmen Nachmittag, vielleicht könnte man doch noch einen Spaziergang machen. Und wenn es nur hinunter an die Elbe wäre …
* * *
Es ist Freitag, der 16. Oktober. May, frühauf und unruhig, kaum, dass er das Frühstück angerührt hat, liest wieder und wieder den kurzen Brief des Malers Schneider. Er hält ihn hoch vor die Augen, blinzelt, vergrößert den Abstand, die Schrift schwimmt und flimmert ihm vor den Augen, nicht jeden Tag sieht er neuerdings gleich gut. Es ist vertrackt. Er wird den Kneifer nehmen, ja, so geht es, ach, es ist doch ein Kreuz mit dem Alter …
Der junge Mensch (Sascha Schneider ist 28 Jahre jünger) schreibt, sein Herz schlüge schnell und eilig und er könne nicht umhin, ihn, May, am Sonnabend gegen drei Uhr nachmittags aufzusuchen, abends dann wäre er ihn wieder los …
May beschleicht bei aller herzlichen Vorfreude ein Verdacht. Zufall? Oder doch kein Zufall? Am Abend, da ist doch …? Er wühlt auf dem Schreibtisch, zieht aus Briefen und Papieren eine grafisch elegant gemachte Einladungskarte hervor – richtig, hier! Am Abend desselben Tages, ja, wie passend genau am 17., da hat ihn auch der Architekt Wilhelm Kreis, ein lieber Freund, zu einem Künstlerischen Abend eingeladen, gegen sieben Uhr in seine Villa „Am Steinberg“ in Wachwitz. Er freue sich schon, schreibt Kreis, und ein Überraschungsgast sei außerdem eingeladen, ein Gast, von dem die Kunstwelt noch viel erwarten könne …
Sollte mein Maler Schneider, denkt May, dieser Überraschungsgast sein?
May ruft seine Frau Klara. Ihr Frauen habt doch den siebten Sinn! Klara, sagt er, ich stehe vor einem Rätsel. Was hältst du davon? Sag bitte … und er spricht ihr von seinem Verdacht.
Klara, von einer Küchenarbeit weggelaufen, wischt sich die Hände an der blauweißen Schürze. Komm, setz dich, Herzle, sagt Karl und streckt ihr die Hände entgegen. Wenn du stehen bleibst, hat das sowas von einem Dienstboten. Folgsam setzt sich Klara, macht ein nachdenkliches Gedicht. Oh, sie glaube, sagt sie nach einigem Überlegen und sie lächelt schlau dazu, sie denke, man wolle ihn weiter nichts als überraschen, ja, bestimmt,
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